Content Strategy for the WebVon Mittwoch, 11. bis 13. September 2013 dauert das Content Strategy Forum in Helsinki, die Tweets dazu sind ist unter #csforum13 zu finden. Leider bin ich nicht live dabei. Doch möchte ich euch zu diesem Anlass das Buch einer der profiliertesten Content Strateginnen, Kristina Halvorson und ihrer Kollegin Melissa Rach vorstellen: «Content Strategy for the Web». Es gehört zu den Standardwerken dieser Disziplin.

Content Strategie und Content Marketing sind die Buzzwords dieses Jahres, die – ein paar Jahre nach den USA – nun die Schweiz erreicht haben. Das Thema Content Strategie ist keine leichte Kost, da es mehrere Disziplinen umfasst, die jede für sich alleine ein Buch füllen würde. Umso angenehmer ist die Lektüre. In jedem Kapitel gibt es auflockerende Bemerkungen. Mir gefällt diese Mischung, mit der die beiden Autorinnen die fachlichen Botschaften konzise auf den Punkt bringen und gleichzeitig einen lockeren, fast süffisanten Stil pflegen: «Thanks for your patience with all of this preamble stuff», «Wow, one paragraph in and your’re already crying a little?» – «Wipe your tears away, dear reader … » and «… you can handle this». Yes, we can.

Wer Content Strategie in einem grossen Unternehmen angehen will, braucht eine grosse Portion Gelassenheit, denn es wartet niemand auf den Content Strategist, der alle Fäden in die Hand nehmen, sortieren und neu ausrichten will. Oder wie Steve Jobs es formulierte:

«The best people are the ones that understand content. They are a pain in the butts, but you put up with it, because they are so good.» 

Ziel und Zweck dieses Buches ist es, den Lesern einen Überblick zu verschaffen, wie eine Content Strategie erstellt und in der Praxis umgesetzt wird. Es gibt eine praktische und einprägsame Einführung ins Thema Content Strategie für Menschen, die die Verantwortung für die strategische Ausrichtung eines Unternehmens tragen, CEO, Marketingleitende, IT-/Webverantwortliche oder SEO-Verantwortliche. Content Strategie ist zwar nicht nur fürs Web, doch wo Content zum König gekrönt wurde, liegt deren Wichtigkeit auf der Hand. Das Web wählte Halvorson aus, «weil das ein guter Ort war, dort zu beginnen».

Im Vorwort erzählt Sarah Cancilla, wie sie sich mit diesem Buch unter dem Arm zum Vorstellungsgespräch bei Facebook als Content Strategist bewarb. (Anmerkung: Kristina Halvorson hatte Facebook bei der Stellenausschreibung geholfen.) Sarah Cancilla erhielt die Stelle. Sie ergänzt das Vorwort damit, welchen Herausforderungen sie sich bei Facebbook stellen musste und gibt Tipps, worauf bei der Einführung einer Content Strategie zu achten ist. Ein ansprechender Einstieg.

Die inhaltliche Gliederung weist vier Teile mit 12 Kapiteln auf:

1) Ausgangslage (Reality): 1. Jetzt 2. Problem 3. Lösung
2) Entdeckung (Discover: 4. Ausrichtung (Alignment) 5. Bestandesaufnahme (Audit) 6. Analyse
3) Strategie (Strategy): 7. Kernstrategie 8. Inhalte 9. Personen
4) Erfolg (Success): 10. Überzeugung 11. Botschafter 12. Held

Der Leser wird gut geführt, die Titelstrukturen der ersten Kapitel können allerdings beim Nachschlagen zu Suchaktionen führen, da die Struktur zwar schön aufgebaut, doch die Inhalte zum Teil über die Kapitel hinaus vernetzt sind. Online könnte das Problem durch Links behoben werden, auf dem gedruckten Exemplar würde ich mir ein paar Verweise mehr wünschen.

Im ersten Teil, den Kapiteln 1-3, wird Basiswissen vermittelt, das Thema eingeführt und eingegrenzt. Dabei wird definiert, was Content und Content Strategie ist und die Kernstrategie vorgestellt.

Content Strategie umfasst u.a. die Disziplinen:

  • PR (Messaging) und Marketing (Branding)
  • Web Writing (Schreiben fürs Web)
  • Copy Writing (griffige Botschaften / Headlines formulieren)
  • Design
  • Informationsarchitektur
  • User Experience (UX)
  • Suchmaschinenoptimierung (Search Engine Optimization, SEO)
  • Metadata Strategie
  • Content Management Strategie

Letztlich geht es darum, Antworten auf die hier nicht abschliessend aufgelisteten Fragen zu finden:

  • Warum wollen wir eine Content Strategie? Welches sind unsere Ziele?
  • Welche Botschaften wollen wir vermitteln?
  • Wer ist das Publikum?
  • Wo werden die Inhalte gesehen/gelesen, wo weiterverbreitet (z.B. auf welchen Plattformen)?
  • Wie sollen die Inhalte strukturiert sein?
  • Womit werden die Inhalte angezeigt, auf welchen Geräten?
  • Wann werden die Inhalte erstellt, wann gelesen?

Der zweite Teil startet mit dem 4. Kapitel Alignment und behandelt die Aufgaben, die zur Ausrichtung der Inhalte auf die Anspruchsgruppen notwendig sind: die strategische Ausrichtung und die Analyse der bestehenden Inhalte. Die Autorinnen sensibilisieren dafür, dass sehr viele Menschen den Inhalt eines Unternehmens beeinflussen und dass sie involviert werden wollen, sollen sie eine (neue) Strategie mittragen. Die Analyse der Stakeholder und wie der Dialog mit ihnen aufgebaut wird, um sie zu engagieren, werden näher beleuchtet.

Kapitel 5 und 6, Audit und Analyse, sind wertvoll, um sich Ideen zu holen, wie die Verantwortlichen die Strategie angehen können. Ein Audit ist eine wesentliche Grundlage jeder überzeugenden Strategie. Die Ausgangslage will nicht nur klar, sondern auch gesehen sein. «Seeing is Believing». Überzeugen beginnt mit zeigen. Resultate zeigen. Von allen erarbeiteten Fakten enthalten neutrale Daten am wenigsten politische Brisanz und können intern die Eisbrecher-Rolle übernehmen, raten die Autorinnen. Verschiedene Audit-Arten und Analyse-Vorgänge werden aufgelistet. Die Anspruchsgruppen, Nutzer, Kunden, Beeinflusser, Mitarbeitende und nicht zuletzt die Mitbewerber, sind zu analysieren, um das «Content-Haus» nicht auf Sand zu bauen. Dazu gehören zum Beispiel: User Intervies, Suveys, A/B Tests, Website Analytics, Social Analytics, Search und Keyword Analytics, Contact Analytics und Syndicated Research.

«Your users almost always have very specific goals and expectations. And if your content doesn’t meet their expectations – and quickly – they will leave. Period.» Kristina Halvorson

Wie Sie die Ziele und Erwartungen der Nutzer und Kunden erreichen können, die Sie mittels Audit und Analyse evaluiert haben, steht in den nächsten Kapiteln.

Content Strategy Quad: Das Geviert für die Kernstrategie

Der Konzeption der Kernstrategie liegt dieses Geviert, die Autorinnen nennen es «The Content Strategy Quad», zu Grunde. Es zeigt die kritischen Komponenten der Strategie, wie eine Organisation ihre Inhalte nutzt, um die Ansprüche der Nutzer und Kunden zu erfüllen und dabei ihre eigenen Ziele zu erreichen. Substance steht für die Inhalte, Structure für die Struktur der Inhalte, Workflow für die Abläufe und Governance für die Steuerung des Prozesses, die grobe Unterteilung in inhaltliche und «personenbezogene» Aspekte. Governance beinhaltet meines Erachtens per Definition die Abläufe (Workflows), doch sind wir nicht kleinlich. Das Ganze ist auf dem Markt einzigartig, anschaulich und in verdaulichen Portionen vorzubringen.

Content Strategy Quad

 

Die Kernstrategie ist in einzelne Schritte unterteilt, wird anhand vieler kleiner Beispiele und Case Studies praktisch greifbar und für die Praxis anwendbar. Wertvoll daran ist, wie das Ineinandergreifen dieser «neuen» Disziplin, die aus verschiedenen alt bekannten und bewährten Disziplinen zusammengesetzt ist, funktioniert und gestaltet werden kann.

Im 8. Kapitel Content/Inhalte, das die beiden Themen Structure und Substance aus der Kernstrategie umfasst, geht es darum, welche Inhalte warum gebraucht werden und wie sie priorisiert, organisiert, formatiert und dargestellt werden. Navigation, Nomenklaturen, Microcopy, Metadata, Tagging, Wireframes und Page Tables werden ebenfalls angesprochen, vertiefte Kenntnisse verschafft man sich jedoch erst durch separate, weitergehende Lektüre.

Welche Prozesse werden benötigt um die gewünschte, gleichbleibend hohe Qualität sicher zu stellen? Wie werden Entscheide über Inhalte und deren strategische Ausrichtung gefällt? Wie werden Inhalte initiiert und kommuniziert? Workflow und Governance sind ab dem 9. Kapitel beschrieben. Ownerships und Rollen, die verteilt werden wollen. Ein Modell. Wirklich spannend wird das Thema in der Umsetzung, wo Probleme auftauchen, die es in der Theorie gar nicht gibt.

Die Autorinnen sprechen den Lesenden immer wieder Mut zu, ohne die Realität zu verkennen, denn es wartet niemand − weder intern noch extern − auf die Content Strategisten, die zuallererst mal Mehrarbeit produzieren, bevor Nutzen sichtbar werden.

Am Ende des Buches ergänzen gute Tipps, wie die Literaturliste, lesenswerte Blogs, Meetups und Google Gruppen, die zum Dranbleiben am Thema aufrufen. Sie passen zum letzten Satz: «Now, go put on your cape and get to it. We’re counting on you!»

Empfehlung

Das Buch ist sehr ansprechend gestaltet und leicht lesbar geschrieben. Auch komplexe Sachverhalte sind in verständlicher Sprache dargelegt und mit praktischen Beispielen untermauert. Die umfassende Information wurde auf den Punkt gebracht, ohne den Witz in der direkten Ansprache oder zwischen den Zeilen zu vergessen, der den Text genüsslich lesbar macht.

Meine Schlussfolgerung − in allen Punkten: «Content Strategy for the Web» ist empfehlenswert zu lesen. Ein Lese-Muss für alle, die sich mit Inhalten befassen, denn Inhalt ist zum strategischen Erfolgsfaktor geworden.

«Content Strategy for the Web», Second Edition, 2012, von Kristina Halvorson und Melissa Rach ist im Buchhandel für rund EUR 20.-  und auch für Kindle erhältlich. Kristina Halvorson’s Blogbeitrag «Why I wrote Content Strategy for the Web» empfehle ich allen zur leichten Lektüre vorneweg oder hintennach. Eine umfassende Literaturliste vom Februar 2013 befindet sich auf Johnathon Colmann’s Blog.