Die Unternehmenskommunikation hat sich durch die Sozialen Medien von den Massenkommunikation zum Dialog «von Mensch zu Mensch» hin verlagert. Die Menschen wollen «auf Augenhöhe kommunizieren». Die Kommunikation von oben nach unten wird weniger denn je geduldet. Stimmt die Augenhöhe nicht, ergeben sich Konflikte, die den Beteiligten Unbehagen bereiten. Öffentliche Konflikte auf Sozialen Netzwerken können zudem das Image des Unternehmens beeinträchtigen. Wenn Aggression, Beschimpfungen und Beleidigungen auf breiter Front Überhand nehmen, sich ein sogenannter «Shitstorm» entwickelt, ist die Aufmerksamkeit besonders hoch.

Wie können Sie sich vor Konflikten schützen? Sie wollen Ihre Anliegen kommunizieren, ohne Ihre Dialogpartner zu verletzen, die Beziehung zu zerstören geschweige denn einen Shitstorm riskieren. Wie reagieren Sie in der Öffentlichkeit, wenn Sie wütend sind oder wenn unter der Gürtellinie auf Sie geschossen wird − ohne andere zu beleidigen? Welche Formulierungen fördern, welche verhindern Konflikte? Was bedeutet authentisch in einem solchen Fall? Fragen über Fragen, auf die ich in dieser Artikelreihe Antworten liefern möchte.

Ich beginne mit der Augenhöhe, die in den Sozialen Medien genannt, jedoch unterschiedlich definiert wird und zeige auf, was ich darunter verstehe.

Die Lage der Augenhöhe

Ich bin OK - Du bist OKEs handelt sich bei der Augenhöhe um die gleiche vertikale Positionierung der Augen zweier oder mehrerer Personen beim Gegenüberstehen. Wir wünschen uns einen Dialog «auf gleicher Augenhöhe», das heisst im übertragenen Sinne, wir wollen von den Gesprächspartnern als gleichwertig akzeptiert sein. Jeder Mensch hat gute Gründe für seine Sichtweise wie für sein Handeln, dies gilt es zu respektieren. Wer sich andere Personen grösser und mächtiger als sich selbst vorstellt, fühlt sich ihnen in der Regel unterlegen, weniger wertvoll. Dieses Gleich- oder Ungleichgewicht ist eine Frage der inneren Haltung gegenüber den Gesprächspartnern, nicht der Sachlichkeit. Dialog auf gleicher Augenhöhe ist also nicht gleichbedeutend mit sachlicher, sondern eher mit respektvollem Dialog. Was heisst respektvoll, was bedeutet gleichwertig? Auf einen einfachen Nenner gebracht hat dies Thomas A. Harris.

Die Haltung: «Ich bin OK, du bist OK»

Der Titel des Bestsellers von Thomas A. Harris «Ich bin OK, du bist OK» bringt es auf den Punkt: Menschen sind einander gleichwertig. Keiner ist mehr Wert wie der andere. Diese Haltung ist entscheidend. Wenn diese Gleichwertigkeit in unserer Haltung abhanden kommt, ist eine Bodenmine gelegt. Explosionsgefahr. In allen drei Quadranten mit roter Beschriftung liegt die Augenhöhe aufgrund mangelndem Respekt für sich oder den anderen schief.

Es ist von Vorteil zu erkennen, welches explosives Material in diesen Quadranten verborgen sein kann, um es für andere nicht bereit zu legen, die Bodenminen anderer zu umgehen.

Vier Bodenminen

Als Bodenminen bezeichne ich jene verbalen Äusserungen, die aufgrund einer schiefen Augenhöhe zu Konflikten führen können. In einem bereits entstandenen Konflikt online (da kennt sich oft nicht sehr gut und kann die Gestik und Mimik des Gegenübers nicht sehen) wollen Sie den Konflikt nicht bewusst zusätzlich anheizen und lieber nicht Bodenminen verzichten. Ein kurzes Wort, keine kleine Geste kann für einen Konflikt zwischen Freunden, Unternehmen und Kunden, den Abbruch von Beziehungen oder einen Shitstorm jedoch reichen.

Woran erkennen wir explosives Material?

1. Vergleichen, bewerten, beurteilen

Beurteilungen enthalten wertende Adjektive wie zum Beispiel «richtig, falsch, gut, schlecht, besser, schlechter» oder absolute Aussagen wie «immer» und nie» usw.

  • «Heute sehen Sie besser aus als gestern.» − Wie wär’s mit: «Mir gefällt es, wie Sie heute aussehen»?
  • «Was Sie schreiben, ist falsch.» − Richtig oder falsch ist ein Urteil, das den anderen ins Unrecht setzt und deshalb Zündstoff birgt. Alternative: «Ich habe eine andere Meinung. Für mich … »
  • Nikon tappte mit dem Vergleich «Ein Fotograf sei nur so gut wie das Equipment, das er verwende …» in einen kurzen, aber heftigen Shitstorm.

Die Nikon-Frage

Vergleiche und Beurteilungen eignen sich hervorragend, um die Explosivität der erwähnten Menschen zu testen. (Achtung, dies war keine Empfehlung ;).

2. Verurteilen, beleidigen

Anderen die Meinung zu sagen wer/wie sie sind, zeugt von einer Sichtweise, die sich über andere stellt und ist, wie in diesen Fällen beleidigend und verletzend:

Diese Liste von Beleidigungen auf Twitter und Facebook liesse sich beliebig verlängern. Beleidigungen auf Online Plattformen können übrigens rechtliche Konsequenzen haben.

Verurteilungen und Beleidigungen sind explodierte Bodenminen, die anderen eine weitere Mine zuwerfen. Ob sie daraufhin explodieren, ist von deren Haltung und Verhalten abhängig.

3. Verniedlichen, abwerten, herabsetzen

Wörter wie «nur, keine, null, nichts, niemand» können Pauschalurteile und Verallgemeinerungen oder eben Abwertungen einleiten. Abwertungen können subtil, aber auch interpretiert sein (Selbstabwertung).

Verniedlichungen und Herabsetzungen mögen sogar nett gemeint oder fürsorglich gemeint sein, sind jedoch nicht mehr auf Augenhöhe angesiedelt, sondern setzen die so bezeichneten Menschen herab.

  • Abercrombie & Fitch landete in der Ungnade, weil ihr Chef befand, dass unattraktive Menschen nichts in seinen Kleidern zu suchen hätten. Doch auch die Gegner gerieten gemäss der Süddeutschen Zeitung unter Beschuss, weil sie genau das taten, was sie A&F vorwarfen: sie hatten sich mit der Aktion für Obdachlose als Bestrafung über andere erhoben.
  • «For You. Vor Ort» – Dieser Claim «sollte durchschnittliche Schlecker-Kunden, die dem niederen bis mittleren Bildungsniveau zuzuordnen sind, ansprechen» schrieb der Leiter der Unternehmenskommunikation von Schlecker. Auf die Veröffentlichung dieses Briefes auf Facebook, entwickelte sich ein Shitstorm. Wo lag das Problem? Falsch interpretierte oder effektiv verpasste Augenhöhe? Eine korrekte Zielgruppendefinition oder war es wirklich eine Abwertung? Bestimmt war es ein Urteil über das Bildungsniveau der Bevölkerung. Nebst dieser Beurteilung, dass 95 Prozent ein niederes bis mittleres Bildungsniveau hätten, diente das Bildungsniveau der Kunden Schlecker als Rechtfertigung für den kritisierten Claim. Schlecker begründete die Qualität des Claims mit dem tiefen Bildungsniveau der Kunden. Die Leser reagierten empört darauf.
  • Sascha Lobo machte Schlecker einen Vorschlag, wie sich das Unternehmen am besten aus dieser Affäre ziehen könnte. Er publizierte diesen kreativ formuliertem Brief auf seinem Blog. Ein Kommentar lautet: «Wenn die eine oder andere Volte, die dich als klüger ausweisen als Herr Baum und das Publikum ausweisen, heraus nehmen, dann passt das.» Verschiebungen der Augenhöhe kommen auch bei renommierten Kommunikationsexperten vor.

Andere Menschen oder deren Meinungen zu bewerten oder zu verurteilen, womöglich unter dem Deckmantel der «Objektivität» birgt Konfliktstoff. «Konstruktive» Kritik nenne ich Feedback statt Kritik. Wenn ich andere beurteile, stelle ich mich über sie. Wenn ich mich als weniger wert betrachte als die anderen und den anderen als «besser» beurteile, setze ich mich selbst herab und verletze ich mich selbst. Wenn ich mitteilen will, was ICH für richtig und wertvoll erachte, geht es nicht darum, was DER ANDERE richtig/falsch gemacht hat oder wie ER/SIE ist oder sein sollte. Zur Erinnerung: Jürg Bollinger zeigt in seiner Slideshare-Präsentation die Regeln für konstruktives Feedback.

4. Verleugnen statt delegieren der eigenen Verantwortung

Eine respektvolle Kommunikation auf Augenhöhe basiert auf der Übernahme der eigenen Verantwortung für die eigene Wahrnehmung, die eigenen Gefühle und Handlungen:

  • «Dieser Artikel ist unbrauchbar.» − Alternative: «Ich kann diesen Artikel nicht brauchen.»
  • «Sie sind nicht unser Typ.» − statt: «Ich habe andere Vorstellungen eines idealen Kandidaten.»
  • «Sie haben mich nicht verstanden.» − «Ich wollte erklären, … »

So einfach wäre es, anderen nicht Dinge in die Schuhe zu schieben, für die ich selbst mit meinen individuellen Werten und Bedürfnissen verantwortlich bin.

Achtung bei explosiven Themen

Ethik, Religion, Politik, Rassismus, Sexismus

Menschen aufgrund deren ethischer, religiöser, politischer Gesinnung, deren Rasse oder Geschlecht zu beurteilen, zu benachteiligen oder abzuwerten, darauf ist die Öffentlichkeit besonders empfindlich:

  • In «Wetten dass … ?» wurde dem Moderator am Jahresende 2013 Rassismus vorgeworfen.
  • «Going to Africa. Hope I don’t get AIDS. Just kidding. I’m white!» Ein Witz oder Rassismus? Die PR-Fachfrau Justine Sacco verlor wegen dieses Tweets ihren Job.
  • So sorgte etwa die Kommunikation des Barilla-CEOs, weshalb er keine Werbung mit einer homosexuellen Familie mache für eine beachtliche Entrüstungswelle
  • Ryanair, Otto und mit Jung von Matt auch eine der renommiertesten Kommunikationsagenturen der Schweiz fielen in die «Sexismus-Falle».
  • Dass weder mit der Nacktheit noch mit der Darstellung von religiösen Zeichen zu spassen ist, bekam Künstlerin Deborah Sengl zu spüren. Ihr Facebook-Konto wurde wegen Pornografie gesperrt und religiöse Hasstiraden zierten ihre Facebook-Page wie ihre Website.

Die Verletzung von Menschenrechten wie der Meinungsfreiheit, aber auch der Grundlage unseres Lebens sind Gebiete, die Respekt verlangen und eine grössere Masse von Menschen mobilisieren können, wenn der nötige Respekt in den Augen der Empfänger nicht gegeben ist.

  • Sunrise zog den Unmut der Schweizer Naturliebhaber auf sich, als sie 30’000 Ballone fliegen liessen, die leider nicht restlos biologisch abbaubar sind.
  • Mammut verletzte mit der Genehmigung, sich auf die Liste der Suisse Economie Suisse gegen das CO2-Gesetz setzen zu lassen, die Grundfesten dessen, wofür Mammut stand (apropos Ethik: ihre eigene Mission) und krebste in Folge des Shitstorms zurück.

Wir wissen, wie heikel diese Themen sind, doch scheint uns das Wissen weder vor kleinem noch grossem Konflikt zu schützen, wenn wir die alltäglichen Ausuferungen in den Sozialen Medien beobachten. Kein Wert ist per se wichtiger oder wertvoller wie der andere. Eine Überprüfung der eigenen Werte kann zu Tage fördern, bei welchen Themen die persönliche Identifikation oder Empfindlichkeit erhöht ist.

Persönliches Fazit

Die Augenhöhe und eine respektvolle Kommunikation haben einen Zusammenhang mit der innerlich gehegten Haltung, einer Achtung und Aufmerksamkeit gegenüber anderen.

  1. «Was du nicht willst, was man dir tu, das füge keinem anderen zu.»
  2. Wer sich besser oder schlechter fühlt wie andere, hat grössere Chancen, ins Fettnäpfchen zu treten. Doch wer hat sich nicht schon mal besser, schöner, intelligenter, geschickter, schneller … gefühlt wie andere? Oder schlechter, hässlicher, dümmer, ungeschickter und langsamer? Beides dies führt zu ungleicher Augenhöhe, was im Austausch Konfliktpotential freilegen kann. Sind Sie eine Ausnahme? Vielleicht der Dalai Lama. Ich nicht.
  3. Die empathische Kommunikation auf Augenhöhe will entwickelt und eingeübt sein. Je mehr Menschen diese Art der Kommunikation kennen und anwenden, desto besser können wir uns gegenseitig dabei unterstützen, Bodenminen nicht zu vergraben oder nicht darauf zu treten. Denn Bodenminen explodieren ja nur, wenn jemand drauf tritt. Je besser uns beides gelingt, desto friedlicher ist die Welt – on- wie offline.

Ich empfinde die empathische (non-violent) Kommunikation, die mir u.a. von deren Begründer Marhall B. Rosenberg persönlich vermittelt wurde, in vielen Situationen, auch gegen Selbstkritik, als sehr hilfreich. Deshalb lade ich Sie ein, sie kennen zu lernen.

Wir sollen authentisch sein, das gelte insbesondere auch in den Sozialen Netzwerken. Doch wenn die Meinung der Öffentlichkeit nicht genehm ist oder die Wut Überhand nimmt, ist der Konflikt vorprogrammiert. Wie gehen wir mit unseren Gefühlen in der Öffentlichkeit um? Immer lieb und nett sein? Konformismus ist nicht die angestrebte Lösung, da gehe ich mit Martin Weigert einig.

Was dann? Im nächsten Blogpost behandle ich, wie wir Emotionen und Anliegen authentisch kommunizieren und die gleiche Augenhöhe dabei aufrecht erhalten können.

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