Stellen Sie sich vor, Ihr Kunde schäumt vor Wut und Sie bleiben gelassen und erklären ihm ganz sachlich, weshalb er sich irrt. Warum beruhigt er sich bloss nicht? − Wir sind nicht gewohnt, im geschäftlichen Kontext Gefühle auszudrücken. «Was soll denn die Gefühlsduselei im Geschäftsleben?», fragen mich die einen, «Was könnte ich denn in dieser Situation genau sagen?» die andern.

In Krisensituationen ist das Bedauern, ein «Es tut uns leid», das höchste an Gefühlen, das ich in Auseinandersetzungen mit Fans und Kunden lese. Gäbe es da nicht mehr? Wie können wir die aktuellen Gefühle eines Kunden ansprechen ohne den Konflikt weiter zu erhitzen?  «Macht das Web wieder sozial» – rief Falk Hedemann. Wie kommunizieren wir «sozialer»? Dies ist meine Antwort:

Die gleiche Augenhöhe zu erreichen, über die ich im letzten Blogartikel geschrieben habe, entspricht einer inneren Haltung, die von Respekt gekennzeichnet ist. Diese ist auch dann unabdingbar, wenn sich die Unternehmen in einer «Kommentarhölle» wähnen und es schwieriger ist, die eigenen Ansprüche an einen angemessenen Gesprächsstil beizubehalten. Mein Survival Kit besteht aus einfachen vier Schritten. Mit diesen möchte ich Ihnen aufzeigen, wie auch Sie die Herausforderung meistern können, eine respektvolle Kommunikation zu pflegen, die Kopf und Herz mit einbezieht.

Das Vorgehen der empathischen Kommunikation baut auf vier zentralen Unterscheidungen auf. Diese vier Schritte empfehle ich, weil sie mir das Leben wesentlich erleichtern (wenn ich danach handle).

«Zu beobachten ohne zu bewerten ist die höchste Form menschlicher Intelligenz», stellte schon der indische Philosoph Krishnamurti fest. Danach folgen drei weitere, die uns mit den anderen Menschen stärker verbinden und uns zur Lösung hinführen.

  1. Beobachtungen und Bewertungen unterscheiden
  2. Gefühle von Bedeutungen und Interpretationen trennen
  3. Bedürfnisse unabhängig von Lösungsstrategien darlegen
  4. Bitten statt fordern

1. Beobachten ohne zu bewerten

Sind Sie gewohnt zu urteilen und zu beurteilen? Sie sind nicht allein. Versuchen Sie mal darauf zu verzichten und «bloss» zu beobachten, sie könnten angenehm überrascht sein. Denn Beurteilungen funktionieren wie versteckte Bodenminen und diese wollen wir entdecken, bevor sie explodieren. Wenn wir einen Dialog mit einer Bewertung beginnen besteht die Gefahr, dass dies unser Gegenüber nicht hören will und den «Laden» gleich dicht macht. Zu hören fällt mit verschlossenen Ohren schwierig.

Die Beobachtung ohne Bewertung als erster Schritt eines empathischen Vorgehens ermöglicht es, das Vorgefallene darzulegen und das Gesprächsthema zu umreissen: Um welche Situation geht es? Wir legen dem Gegenüber aber keine Bodenmine, worauf er/sie treten könnte:

Beispiele mit Urteil

Sie nerven sich und sagen:

  • «Du bist egoistisch»
  • «Du arbeitest zu viel» (Beurteilung) oder
  • «Du kommst immer zu spät» (Verallgemeinerung) … –

Die Wirkung solcher Einstiege in ein Gespräch, die mit Bodenminen gepflastert sind, kennen Sie vielleicht. Explosionsgefahr.

Nein, wir wollen einen konstruktiven Dialog beginnen. Dafür verzichten wir auf Interpretationen, Meinungen und Beurteilungen. Bei der empathischen Kommunikation gehen wir so vor: Wir nennen die Situation, um die es uns geht als Beobachter Wir benennen, was wir gesehen, gespürt, gerochen oder gespürt haben. Wir verzichten auf Bedeutungen und Interpretationen, wir beschreiben die Beobachtungen, wie in einem gerichtlichen Protokoll.

Beispiel ohne Urteil

Sie nerven sich und definieren zuerst mal, welches der Stein des Anstosses ist:

  • «Ich sehe, dass du das grössere Stück Kuchen nimmst, …» (dann erst kommt Ihr Gefühl – und immer noch keine Beurteilung )
  • «Es ist der dritte Abend diese Woche, dass du um 22.00 Uhr nach Hause kommst» oder
  • «Ich habe heute zum Abendessen um 18.00 Uhr mit dir gerechnet»

Es könnte ja sein, dass das, was wir beobachten andere Ursachen und Bedeutungen hat, als die, die wir annehmen.

Wenn nun das Gegenüber, zum Beispiel ein Kunde, auf «180 Grad» erhitzt ist, wollen wir als erstes wirklich verstehen, worum es geht und auf ihn eingehen, denn er hat ein Problem, also fragen wir nach, was seine Beobachtung war und halten unsere Bewertungen, Gedanken und Meinung aus dem Spiel.

Beispiel einer Kundenreklamation 

Postbank Nachfrage

Der Kunde reklamiert und die Postbank fragt nach, welches der Stein des Anstosses war, ohne seine erste Aussage (die mit in paar Bodenminen gespickt war) zu bewerten. Die Postbank hat die gelegten Bodenminen «fail», «Werbemüll» «Zwang» oder «Dreck» links liegen gelassen. Wunderbar, denn das Gespräch dort zu beginnen, wäre nicht zielführend gewesen.

Die Wirkung: Der Kunde antwortet sachlich und ergänzt auch gleich, warum es ihn gestört hat. So wissen wir nun, was Sache ist. Der Postbank und ihrem Kunden ist es gelungen, das aktuelle Thema klar zu umreissen.

Der nächste Schritt der Postbank: Sie berichtigt den Kunden, dass es keine Werbung war, was er gesehen hatte und was der Kunde nun tun kann.

2. «Echte» Gefühle ansprechen ohne zu interpretieren

Anstatt den Kunden in seiner Beobachtung zu berichtigen und (vorschnell) einen Lösungsvorschlag zu präsentieren, gäbe es eine empathische Alternative: Gefühle ansprechen und nachfragen, was er wünscht. Der Kunde ist vermutlich wütend, denn er nutzte Kraftausdrücke. Warum geht die Postbank nicht auf seine Gefühle ein? Aus Angst, dass sich der Kunde wieder echauffieren könnte? Sollte sie wirklich direkt in die Höhe des Löwen gehen und Emotionen ansprechen?

Die Postbank hätte hier schreiben können:

«Sie haben sich geärgert, weil Sie Werbung für eine Autoversicherung erhielten, obwohl Sie kein Auto haben?»

Wir lesen, dass der Kunde sich immer noch ärgert. Nochmals und zum Schluss nochmals. Vielleicht, weil nicht auf seine Gefühle und sein wirkliches Anliegen (das die Postbank noch nicht genau kennt) eingegangen wurde. Gefühle und das zugrunde liegende Anliegen des Kunden anzusprechen, bevor ein Lösungsvorschlag von Seiten des Unternehmens präsentiert wird, macht deshalb Sinn, weil Störungen zuvorderst auf der Zunge liegen. Störungen haben Vorrang. Menschen wollen verstanden werden, auch emotional, deshalb sind auch diese anzusprechen.

Können Sie sich vorstellen, dass dieses Vorgehen, manche Diskussion gänzlich anders verlaufen lässt? Die Technik des Paraphrasierens kann sie beim Ansprechen der Gefühle unterstützen. Drücken Sie das aus, was der Kunde Ihnen über seine Gefühle und seine Lage mitteilt. Umständlich? Es kostet Sie einen Satz oder zwei und ist wirkt eine Ebene tiefer, auf Herzebene. Vielleicht erinnern Sie sich an Gelesenes, dass Frauen gehört werden und nicht immer gleich Lösungsansätze hören wollen. Keine Sorge, dieses Vorgehen funktioniert bei Männern und Frauen, beide haben Gefühle, die wahrgenommen werden wollen. Unausgesprochene Gefühle haben Potential zu explodieren, wenn die dahintersteckenden Anliegen nicht erfüllt werden. Gefühle helfen uns auf die Lösungsspur.

Im Privatleben könnte es sein, dass Sie sagen: «Du ärgerst dich, weil ich heute das dritte Mal nicht zum Abendessen daheim war?» − «Genau», oder: «Nein, ich ärgere mich, weil ich schon drei Wochen keinen gemütlichen Abend mehr mit dir zusammen erlebt habe.» Sie haben soeben erfahren, wo er schmerzhafte Punkt steckt. «Hmm, du hättest also gerne wieder mal einen Abend mit mir verbracht. … »

Können Sie sich vorstellen, wie das Gegenüber nun ausatmet und die erste Portion Ärger entflieht? Wenn Sie die Gefühle spiegeln, die Ihr Gegenüber ausdrückt, entschärfen Sie eine Bodenmine. Und sollte sie schon explodiert sein, frisst sich ihr Feuer nicht weiter.

Die Vermischung von Beurteilung und Gefühlen

In der Praxis ist die Unterscheidung zwischen Beurteilung und Gefühlen am schnellsten klar, wenn jemand die Worte an uns richtet. Eine Beurteilung statt einer Beobachtung oder einer Gefühlsäusserung zieht eine gänzlich andere Wirkung nach sich.

So hätte die Trennung von Beobachtung und Bewertung zum Beispiel dem Tourismus Schweiz im #Täschligate sehr geholfen. Die Tourismusorganisation postete damals unter ihrem Twitternamen MySwitzerland:

Der Tweet sei zu spontan und zu emotional abgefasst gewesen, meinte Tourismus-Direktor Jürg Schmid kurz darauf selbstkritisch. Gefühle (We are sorry) waren meines Erachtens nicht, was störte, sondern die Interpretation, die Verkäuferin hätte falsch gehandelt, also deren Verurteilung. MySwitzerland hatte sich nicht unrechtsmässig eingemischt,  sondern unrechtmässig die Verkäuferin schuldig gesprochen. Beurteilungen sind Bodenminen.

Learnings aus dem «Täschligate»

MySwitzerland darf sich sicher – wie jeder Mensch – betroffen fühlen, den Vorfall bedauern und dies auch zum Ausdruck bringen. Wenn Prominente in der Schweiz eine unangenehme Erfahrung machen, ist dies für MySwitzerland schmerzhaft zu erfahren, denn sie bemühen sich schliesslich tagtäglich, das Image der Schweiz im In- und Ausland zu hegen und zu pflegen. Deshalb kann ich ihr Bedauern über diesen Vorfall durchaus nachvollziehen. Zudem ist es nicht falsch, sich zu äussern und Oprah Winfrey Empathie entgegenzubringen, sondern menschlich. Unabhängig davon, ob ihr Unrecht erfahren sei oder nicht. Das nennt man Empathie.

Authentische und empathische Alternative ohne Urteil:

«Wir ärgern uns tatsächlich und bedauern, dass @oprah diese unangenehme Erfahrung gemacht hat.»

Nachträglich vom Schreibtisch aus, Alternativen zu posten ist einfach. Mir geht es mit meinen Vorschlägen darum, die Unterscheidungen zu zeigen, damit Sie die Bodenminen schneller erkennen und diese Fallen vorsorglich umgehen können.

Gefühle und Interpretationen trennen

Im gefühlsmässigen Aufruhr eines Konfliktes ist es gar nicht so einfach zu entziffern, welches denn das Gefühl, eine Reaktion auf Gedanken oder andere Interpretationen sind. Hinter der Wut steckt manchmal Trauer, Sorge, Angst … − Was wir (fast) immer wissen, ist, was die Anderen falsch gemacht haben. Wie können wir Gefühle und Interpretationen (oft Vorwürfe) auseinanderhalten? Theoretisch ist das ganz einfach:

 

Gefühle und Interpretationen

 

Beispiele von echte Gefühle statt interpretierten Situationen:

  • «Ich habe Sie angeschaut, doch zwei Sekunden später nur noch Ihren Rücken gesehen.» statt «Sie haben mich abgewiesen.»
  • «Ich bin traurig» statt «Ich habe das Gefühl, Ihnen ist egal, was ich denke.»
  • «Ich bin enttäuscht, da ich erwartet habe, gefragt zu werden, bevor …» statt: «Sie haben mich hintergangen»

Nun haben Sie zwei der vier Unterscheidungen der empathischen Kommunikation kennen gelernt, sofern Sie damit nicht schon vertraut waren.

Fazit

Eine Auseinandersetzung mit diesen Unterscheidungen und Übung (das Leben gibt uns genügend Gelegenheiten dazu) ist nötig. Meine Erfahrung ist, dass Konflikte rascher, schmerzloser und zielführender gelöst werden können, weil Geübte immer weniger auf Bodenminen treten und weniger Minen um sich werfen.

Online haben wir den Nachteil, dass wir Mimik und Gestik nicht als zusätzliche Informationsquellen zur Verfügung haben. Andererseits haben wir den den Vorteil, dass wir uns eine Antwort überlegen und sie vor dem Versand auch auf Bodenminen überprüfen können. Online sehen wir keine Emotionen. Digitale Übertragungen helfen, sie zu verstecken. Emotionen müssen bewusst nachgefragt und transportiert werden, weil sie dem Verständnis der Botschaften von Menschen dienen und wir uns über Gefühle miteinander verbinden können.

Meines Erachtens ist das Wissen um die oben genannten Unterscheidungen unabdingbares Know-how, um Krisensituationen präventiv zu verhindern und Konflikte zu lösen. Rein sachliche Kommunikation erreicht den Menschen nicht in seiner gegenwärtigen Situation, Emotionen allein reichen nicht aus, um eine Lösung herbeizuführen. Es braucht beides.

Was halten Sie von diesen Unterscheidungen? Wo finden Sie es tauglich für Ihre Konfliktdialoge, wo nicht? Wie gehen Sie mit den Gefühlen Ihrer Kunden im Reklamationsfall um? Ich bin gespannt auf Ihre Erfahrungen.

 

Im nächsten Blogpost

Was erwarten Sie im nächsten Blogpost? Haben Sie mir Beispiele aus Facebook oder Twitter, bei denen Sie gerne wüssten, wie die Kommunikation empathisch gestaltet werden könnte? Dialoge, bei denen Sie nicht weiter wussten? Ich könnte mir vorstellen, dass dies hilfreicher ist, als dass ich das Modell weiter ausführe. Oder irre ich mich? Ich bin dankbar für Feedback. 

Persönliche Linkempfehlungen