Öffentliche Verkehrsbetriebe sind quasi Monopolisten. Von ihresgleichen gibt es in einem bestimmten Gebiet in der Regel keine gleichartige Konkurrenz. Was bringen mehr Engagement in den Sozialen Medien und zielgerichtetes Content Marketing? Diese Frage stellt sich ja nicht nur für öffentliche Verkehrsmittel. Deshalb sind die Antworten auch für andere Branchen interessant.

Sieben Learnings und eine Bitte

Was geschieht, wenn man im öffentlichen Verkehr mehr Aufwand in den Sozialen Medien betreibt? Wie der Einsatz der Sozialen Medien in den einzelnen öffentlichen Verkehrsbetrieben angegangen wurde, haben mir Jean-Daniel Roth, Berater bei der BLT (Baselland Transporte), Caspar Loesche, Social Media Manager und Mediensprecher des RBS (Regionalverkehr Bern-Solothurn) und Manuela Gallati, Verantwortliche für die Online Kommunikation bei der RhB (Rhätische Bahn), im Interview berichtet. Es geht nun darum, mehr vom Richtigen zu tun, um weiter zu kommen.

1. Eine Content Strategie – ein grosses Plus

Ein guter Start ist eine Content Strategie. Geschickt von der BLT war es, dass sie sich mangels internem Know-how von einem externen Spezialisten bei der Erstellung der Strategie unterstützen liessen. Durch die Ermittlung ihrer Kernwerte und bedeutendsten Themenfelder konnten sie ihre Strategie bestimmen und in der Umsetzung effizient arbeiten. Viele Unternehmen haben keine Strategie in den Sozialen Medien, auch grössere nicht. Sie betreiben viel unnötigen, weil nicht zielführenden Aufwand. Der Aufwand für Social Media ist nicht nur abhängig von der Strategie, sondern auch von den Zielen, einer konsequenten Umsetzung und einigen anderen Faktoren. Neben den Ressourcen beachte man dabei die die Kultur eines Unternehmens und dessen digitalen Reife (Check von Swisscom, vgl. auch The Six Stages of Social Business Transformation). Dadurch, dass die BLT sorgfältig analysiert hat, was sie machen muss, kann sie das Maximum aus dem Minimum herausholen. Sie stützt sich vorbildlich auf die von den Kunden geschätzten Werte und eine darauf aufbauende Content Strategie. Damit hat die BLT den Grundstein gelegt.

2. Relevante Ziele stecken

SBB Social Media Nutzen 2014-04-02Welche Ziele setzen sich die öffentlichen Verkehrsbetriebe, wenn ihnen die Kunden doch sicher sind? Wenige Stellenprozente reichen, um den Bahnfans, die sie in den Sozialen Medien sowieso mit Insbrunst unterstützen, Futter zum Verteilen zu geben. Die Bahnfans sind bereits engagierte Fans. Mit ihnen können mit dem geringsten Aufwand Interaktionen den Sozialen Medien erzielt werden kann. Doch das ist nicht das alleinseligmachende Ziel eines Unternehmens. Nebenan sind die Nutzen eingeblendet, welche die SBB am Social Media Gipfel zum Thema «Social Media ROI» präsentierte. Ihre Erfahrungen aus der Praxis.

Daniel Schwarz, Community Manager be i der SBB, bekräftigt, dass bei ihnen der Kundendienst im Zentrum steht: «Auf Social Media wollen wir den Reisenden primär einen schnellen und unkomplizierten Dialogkanal anbieten. Über Facebook und Twitter beantworten wir durchschnittlich 1000 Kundenanfragen pro Monat. Über die Hälfte davon innert 10 bis 30 Minuten. Die Sozialen Medien sind für uns ein rascher und guter Gradmesser, was die Kundinnen und Kunden beschäftigt. Unser Engagement wirkt sich positiv auf die Kundenzufriedenheit und -bindung aus.»

3. Crowdsourcing: Betroffene beteiligen

Es braucht gegenseitiges Vertrauen. Vertrauen, das vorher aufgebaut werden muss, nicht erst, wenn Geld gebraucht wird. In den Sozialen Medien kann es im Dialog auf einfache Weise sukzessive aufgebaut werden. Betroffene können involviert werden, zum Beispiel durch Crowdsourcing. Der RBS liefert hierfür ein schönes Exempel. Sie fragen ihre Kunden, was sie wollen. Wer ernst genommen wird, fühlt sich wertgeschätzt und engagiert sich eher. Menschen können mehr Verständnis und Sympathie – für Geldbedarf wie auch für Fehler – aufbringen, wenn sich ein Betrieb offen, ehrlich und transparent zeigt. Ein Unternehmen wird dadurch glaub- und vertrauenswürdig. Das ist ein guter Schutz vor einer Krise. Alte PR-Schule. Daran hat sich nichts geändert. Bloss haben wir heute Neue Medien, die es zu nutzen gilt, weil sie von den Kunden genutzt werden.

4. Kundendienst: Nicht nur liefern, sondern auch lafern?

SBB Kundendienst mit Sozialen Medien

Die Anzahl Kundenservice-Anfragen bei der SBB ist nach der Einführung der Sozialen Medien gestiegen (Quelle: Social Media Gipfel). Ebenso ist es heute auch bei der RBS, sagt Caspar Loesche: «Die Sozialen Medien motivieren Menschen, die sich früher nicht gemeldet hatten. Auf diese Weise kommen auch kleinere Probleme aufs Tapet, die sonst vielleicht zur Faust im Sack geführt hätten». Im Unterschied zu den Offline-Medien haben die Sozialen Medien den Vorteil, dass sie die Hürden zum Fragen und Antworten tief sind und dass alles multimedial belegt, dokumentiert und verlinkt werden kann. Echtes Interesse an den Meinungen der Kunden ist eine gute Grundlage für den vertrauensvollen Dialog, die Verbesserung der Dienstleistung sowie die Erhöhung der Kundenzufriedenheit und Kundenbindung.

Kunden dienen heisst auch mit Kunden reden

5. Content Marketing: Content hat eine Mission

Content ist nicht Selbstzweck. Content hat eine Mission. Die RhB ist an einer möglichst hohen Reichweite und einem positiven Image interessiert. Da sie jedoch in einem umkämpften Markt mitspielen, reicht ihnen dies nicht. Im Interview berichtet Manuela Gallati, wie die RhB beim Content Marketing in einer ersten Phase mit Wettbewerben experimentierten, Content wird heute gezielter umsatzfördernd einsetzt. Die saisonalen Angebote werden mit dem Content Marketing so verzahnt, dass der potentielle Kunde den nächsten Schritt bis zum Kauf machen kann, wenn er interessiert ist. Der Sales Funnel im Content Marketing sei gegrüsst. Er schleust die Lesenden dem Content entlang auf das Absatzziel hin; jedenfalls bei guter Planung und konsequenter Umsetzung.

6. Integrierte Kommunikation

Bei der integrierten Kommunikation stossen die BLT, die RBS, die RhB, aber auch die SBB noch auf interne Widerstände. Die digitale Transformation muss von innen in Angriff genommen werden und bei den meisten von ihnen ist dieses Bestreben in vollem Gange. Die Onliner und Social Media Manager wissen, wohin sie die «soziale» Kommunikation führen wollen und gehen den Paradigmenwechsel in ihren Unternehmen beherzt an. Die Zukunftsvision, die Dominik Ruissinger in seiner Gedankenwelt formuliert, haben die Social Media Manager, die ich kenne, als Vision für ihr Unternehmen im Kopf. Der durch die Technolgie eingeleitete Prozess, der Beruf und Alltag verändert, benötigt bei den Menschen mehr Zeit. Er ist nicht mit einem Knopfdruck auf ein elektronisches Gerät vollbracht. Unterstützung aus der Geschäftsleitung ist dafür unabdingbar.

Die Integration ist ein Regional-, kein Schnellzug, denn er muss alle Reisenden mitnehmen.

7. Sharing is Caring: Der Dialog zählt

Wie können die Unternehmen zeigen, dass ihnen die Meinung der Bevölkerung wichtig ist? Die Sozialen Medien sind Kommunikationsmittel, die genau diese ermöglichen. Wer sich nicht öffnet, bleibt die Türe geschlossen, die die Menschen im Krisenfall einrennen. Es ist von Vorteil, sie selbst zu öffnen. Eine geschlossene Türe kann den Eindruck machen «not to care». Wenn die Bevölkerung über eine Gesetzesvorlage, Millionen in den öffentlichen Verkehr zu investieren, abstimmen soll, zeigt sich, ob die Sympathie und das Verständnis noch da sind. Also lieber Abstimmungen vorbereiten statt Shitstorms nachbereiten. Das fehlt Vertrauen fehlt sonst, wenn man die Unterstützung einer Community am dringendsten bräuchte. Die Konsequenzen treten vor allem bei negativen Vorfällen ans Tageslicht. Ein Beispiel:

  • Die BLS wollte eine neue Werkstatt in Bern bauen. Die Kommunikation versagte, die Medien berichteten. Der Beitrag des SRF: BLS Depot Riedbach – Die Bahn erntet Misstrauen und Kritik. Mit dem Einsatz von Sozialen Medien kann der Vertrauensaufbau unterstützt werden. Wer Stimmen sammelt, weiss rechtzeitig, wo der Stimmungsbarometer steht.

Lieber Vertrauen vorher sammeln statt nachher Misstrauen ernten.

8. Bitte, lieber öV, bleib nicht stehen

Der Kluge reist im Zuge und ist online. Wir, die den öffentlichen Verkehr nutzen, wollen nicht, dass der öffentliche Verkehr der Schweiz auf der digitalen Linie stehen bleibt. Wir wollen sehen, dass er läuft und zwar nicht dem Fortschritt nach, sondern mit dem Forschritt. Dafür lieben wir ihn: Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Sauberkeit … . Wir wollen weiterhin stolz auf den öffentlichen Verkehr sein. Wir wollen, dass er der Bevölkerung dient. Mehr ist mehr, weil der Schweizer ÖV schon immer zuverlässiger, pünktlicher und sauberer war. Nicht schneller, besser!

Zeigt uns, dass Ihr dabei seid, dass wir auch auf unserer digitalen Reise mit Euch rechnen können.

Das war die Bitte einer öV-Begeisterten an den öffentlichen Verkehr. Was meinen Sie dazu? Soll der öffentliche Verkehr bei den neuen Medien Gas geben oder bremsen? Und weshalb?

Eine Meinung dazu habe ich auf Twitter ausgegraben: Die Service-Gewinn-Kette sagt, dass so der kommerzielle Erfolg am Ende steigt, schreibt Roman Kappeler. Wie lautet Ihre?

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