Mich fasziniert die Frage, was Heimat ist. Irgendwie ist die Antwort für mich klar, doch seine Definition nicht. Ist es ein Land, ein Ort, eine Region, Menschen, eine Atmosphäre, lieb gewonnene Erinnerungen oder eine Illusion? Und was hat Heimat mit Kommunikation und Social Media zu tun? Heimat ist das Thema einer Blogparade, die Katja Everts ins Leben gerufen hat. Dies ist mein erster Beitrag zu einer Blogparade. Ich habe mich entschieden mitzumachen, weil mich das Thema Heimat betrifft und berührt, weil meine Heimat etwas mit meiner Identität zu tun hat, die auch das Corporate Design meiner Agentur beeinflusst. (Bild: 5-Seen-Wanderung, Wildsee , Pizolgletscher und Pizol)


Sarganserland Meine Heimat liegt in Wangs-Pizol. Die Ortschaft Wangs gehört zur politischen Gemeinde Vilters und ist in Zürich, wo ich seit rund 20 Jahren wohne, im Gegensatz zum Naherholungsgebiet Pizol kein Begriff. Am Pizol hingegen, dem Berg- und Skigebiet mit dem Slogan «ein Piz näher», sind viele schon Ski gefahren oder haben mal die 5-Seen umwandert. Wangs-Pizol liegt im Sarganserland, an der Wegkreuzung, an der man sich von Chur her kommend entscheidet, ob man nach Zürich oder St. Gallen fährt. Das Sarganserland hat eine  «eigene, historisch gewachsene kultureller Identität» und gehört heute politisch zum Kanton St. Gallen. Es ist Teil des UNESCO-Welterbes Tektonikarena Sardona, zu welchem das Glarnerland, Sarganserland, Nordbünden und die Surselva zählt. Ausserdem gehört es zur beliebten Ferienregion Heidiland. Heute heisst das ganze Gebiet zwischen Weesen (SG) und Malans (GR) aus touristischen Marketing-Gründen«Heidiland». Früher war das Heidiland auf das bündnerische Heididorf Maienfeld und der Alp, auf der Heidi gewesen sein soll, beschränkt. So viel zu den politischen, naturgegebenen und touristischen Grenzen des Gebietes um das Sarganserland. Was zählt zur Heimat, was nicht? Gelten die herrschenden politischen, die wirtschaftlichen, die natürlichen oder kulturellen Grenzen? (Bild: Sarganserland)

Sarganser-, St Galler-, Bündner- oder Heidiland?

Ich bin eine waschechte Schweizerin. Im Inland geben wir uns mit dieser Bezeichnung nicht zufrieden. Wir sind Bündner, Zürcher, Ober- oder Unterwalliser und so weiter und der eine oder andere fühlt sich ganz klar einer Region, einer Gemeinde oder einem Dorf zugehörig. Obwohl ich im St. Galler Oberland aufgewachsen bin, bin ich zwar Sarganserländerin, fühle mich aber als Bündnerin. Alles klar? − Mir sehr lange auch nicht. Sage ich meinen Namen «Bisculm» gelte ich in Zürich als Bündnerin, obwohl Wangs-Pizol im Kanton St. Gallen liegt und 6,58 km von Fläsch, dem ersten Ort im Bündnerland und 7,8 km vom Heididorf Maienfeld entfernt ist. Mein Grossvater hat mir mit dem Nachnamen zugleich den Bürgerort Sumvitg im Bündner Oberland vererbt. Der Bürgerort berechtigte in der Schweiz (zumindest früher) dazu, bei gegebenen Alter im jeweiligen Altersheim zu wohnen. Einen engeren Kontakt zu seinem Heimatort hatte ich leider nicht aufgebaut. Nicht mal Rätoromanisch (in Sumvitg spricht man Sursilvan) habe ich gelernt. In Zürich werde ich mit meinem Wangser-Dialekt noch knapp als Bündnerin wahrgenommen – ein Grund mehr, in dieser Stadt zu wohnen, witzle ich gerne. Weshalb wäre ich so gerne Bündnerin, obwohl ich es «nur» dem Namen nach bin?

Garmil, Gonzen, Churfirsten #HeidilandMein jüngster Bruder hielt mir, als ich mal bemerkte, dass mir unser Kanton St. Gallen auch nach über 40 Jahren immer noch nicht heimatlich anmuten wollte, leicht vorwurfsvoll das Geschichtsbuch hin: «… das weisst du nicht, du, die so lange zur Schule ging?». − Ich gestehe, in der Schule lernte ich nicht alles. – Jedenfalls wunderte ich mich, weshalb ich, mit diesem Kanton nicht warm werden wollte, obwohl ich hier aufgewachsen war. Dies wäre mir mit dem Bündner Wappen bedeutend einfacher gefallen. Mir war dies unerklärlich, weil unlogisch. Er erklärte: «Als Napoelon und die Streithaber der Schweizer Kantone die Ländereien neu ordneten, wollten wir dem Bündnerland zugehörig sein, wurden jedoch zuerst dem Glarnerland und dann im 1803 dem Kanton St. Gallen zugeteilt» Die Sarganserländer wehrten sich, wovon überlieferte Gedichte in Dialektform zeugen. (Bild: Garmil, im Hintergrund links neben dem Kreuz die Churfirsten, rechts der Gonzen)

 

Aus: «Nid Ouberlinder» von Pirmin Willi 1923 «

Schu ds Land, dinn t Lüt und au t Sprouch und ds Tinqä,
alls zimmä passt nu zum Püntnerland;
äs hät na vyl vum Romantschän umä, 
winn einä luoget,
sä qsiet er s kand. 

Mier réidend nu tütsch,
sy sind mer s nittä, 

hâ tuond mer Réiter- und Rümerbluot
und früöner hind mer latynisch tätschet 
und noi romantsch we s ä Püntner tunt.»

Übersetzung
Schon das Land,
dann die Leute und auch die Sprache und das Denken,

alles zusammen passt zum Bündnerlnand;
es hat noch viel rätoromanische Ausdrücke überall,
wenn jemand hinschaut, sieht er sie.

Wir sprechen nur Deutsch,
wir sind es nicht,
wir haben Reiter- und Römerblut,
früher haben wir lateinisch gesprochen und dann romanisch,
wie es auch die Bündner tun.

Ländergrenzen und kulturelle Grenzen sind nicht dieselben. Logisch. Dennoch staunte ich über die Wirkung einer vor über 200 Jahren von Menschenhand gemachten Grenze. Ich unterschätzte, was ein Unterschied zwischen «kultureller» und politischer Zusammengehörigkeit ausmachte. Keine Kriege oder Ähnliches, die eine Gemeinschaft stören könnten − und doch konnte ich meine Zugehörigkeit nicht nach den Kantonsgrenzen ausrichten, die seit Anbeginn meiner Existenz gelten. Meine Wurzeln liegen tiefer. Die mir unverständlichen einzelne Teile gestalteten sich nun zu einem nachvollziehbaren Ganzen. Auch die Auseinandersetzungen um regionale und nationale Landesgrenzen im In- und Ausland kann ich seitdem besser nachvollziehen. Oder weshalb das Rollwerk der SBB in Richtung Zürich bessere Qualität aufweist als jenes in Richtung St. Gallen. Mein Gefühl für meine kulturelle Identität wurde geschärft.

Erst Fernweh, dann Heimweh

Wegweiser am PizolAls Jugendliche wollte ich in die Ferne. Nach meiner Schulzeit, einer Tour d’Horizon in der Hotellerie (Arosa, St. Saas Fee, St. Moritz), wo ich meine berufliche Karriere startete, weil ich in der Hotellerie aufgewachsen bin, blieb ich in der Weltstadt Zürich haften. Die Welt hatte ich zwischendurch, mal länger, mal kürzer, bereist. Zürich ist für mich der zentrale Ort, von wo aus ich schnell zu meinen Freunden wie auch zurück zu meiner Familie gelangen kann. Seit über 20 Jahren bin ich nun hier wohnhaft. Nach dem Fernweh der Jugendjahre hat sich inzwischen ganz langsam ein Heimweh zurück geschlichen. Eine Sehnsucht nach den grünsten der grünen Wiesen, quellfrischem Heidiwasser, der föhnigen Heimatluft und der Menschen die mit mir verbunden sind. Manchmal fühle ich mich in der Stadt als Heidi. Dann, wenn ich zu lange mehr grau als grün gesehen habe. Dann kann es durchaus geschehen, dass mich bereits beim Walensee mit seinen sieben Churfirsten die Rührung überkommt. Nach ein paar Schritten in meiner Heimat ist mein Energietank wieder gefüllt mit frischer Luft und einem geerdeten Wohlsein. Meine Familie und ein paar echte Freunde sind noch immer da. Für mich besteht meine Heimat aus den Orten und Menschen, die ich seit Kindesbeinen kenne. Sie ist dort, wo  ich gross geworden bin, meine Sehnsucht nach der weiten Welt aufgebaut und die Wertschätzung für meinen Ursprung wieder gefunden habe. Wodurch sich das vertraute Heimatgefühl genau gebildet hat, ob durch Erinnerungen an Erlebnisse, durch die Menschen oder die Landschaft, das kann ich nicht restlos beantworten. Ich weiss bloss, dass ich diese Heimat sehr schätze.

Identität ergibt Corporate Design

Bisculmcom_Logo_Signet-Berg_ohne_Wortmarke_CMYK-RGBMeine Heimat und ihre Berge rühren mich, offensichtlich. Ich bin bergbegeistert. Mit 48, als ich meine Agentur gründete, suchte ich nach einem Logo. Ein Gestalter machte sich ans Werk und fand eines, das passte, eines, das Kommunikation und Social Media mit meinem Namenszug wunderbar verband. Ich hatte zu allen kreativen Varianten nur um eine gebeten: eine, die meinen Namen darstellen sollte: Zwei Berggipfel. Auf die ersten Visitenkarte wollte ich diese Bildmarke für meine Familie, Freunde und Bekannten. Später dann wollte ich das «Marketing-Logo» verwenden. Die Wirkung der Berggipfel hatte ich unterschätzt. Ich bemerkte, wie ich mit meinen Berggipfeln etwas bewirkte, mit dem ich nicht gerechnet hatte: eine natürliche Verbundenheit. Mit dem Gespräch über meinen Namen und seine Darstellung konnten sich die Menschen mit einer ähnlichen Lebenshaltung mit mir auf einer anderen Ebene als jener des Verstandes verbinden. Deshalb behielt ich das Logo. Die Bildsprache kam dazu. Es ist nicht alles ist perfekt, doch es ist gut so, wie es ist.

Heimat ist dort, wo das Herz verankert ist.

Ein Bergweg führt hinauf, er bringt mich zurück mir. Er erdet mich und führt mich gleichzeitig in Richtung Himmel, in die Freiheit, ins Reine. Die Berge begeistern mich. Ich bewege mich den Berg hinauf, um immer wieder hoch- und herunterzukommen, von Neuem zu beginnen. Von Neuem zu sein. Hier brauche ich mich nicht vorzustellen. Hier bin ich (ein-)heimisch. Heimat ist für mich dort, wo mein Herz verankert ist. Ich bin eine Wangserin, eine Sarganserländerin, aus dem Heidiland und eine Bündnerin. Für mich ist Heimat mehr als ein Gefühl, das kommt und geht. Es bleibt. Schön. (Bild: auf dem Gonzen, im Hintergrund der Falknis, nebelfrei: der Blick ins Bündnerland) Was bedeutet für Sie «Heimat»? Ein Land, ein Ort, Erinnerungen, Menschen, ein Gefühl … ?

Überlieferungen