Heute Morgen bedankte sich die Weisse Arena Gruppe bei den Einheimischen. 30 Tage zuvor, am 24. Dezember 2014 erreichte die Laaxer Einheimischen ein spezielles Weihnachtsgeschenk. Die Weisse Arena schickte ihnen ein Schreiben mit den Worten:

«Wir bitten Sie höflich, aufgrund des zu erwartenden Gästeaufkommens zugunsten unserer Gäste zurückzutreten und als Einheimische auf die Nutzung der Anlagen solange zu verzichten, bis die Talabfahrt nach Flims oder Laax verfügbar ist.»

Ich bin mit der Maxime «Der Gast ist König» aufgewachsen. Unser Restaurant lag an der Hauptstrasse eines Skigebietes. Meine Bachelor-Arbeit habe ich für eine Bergbahn geschrieben, um deren Marktpotential zu evaluieren. Trotz meinem Verständnis für die Situation der Bergbahnen war mir diese Aktion der Weissen Arena mehr als unsympathisch. Ich begann der Sache nachzugehen.

Die Vereinbarung

Wenn eine Bergbahn gebaut wird, wird sie auf dem Land der Gemeinde errichtet. Als Gegenleistung für das Entgegenkommen der Einheimischen wird ihnen eine günstigere Benutzung der Bergbahnen erlaubt. So war es auch in Laax zwischen den Einheimischen und Reto Gurtner, dem zukünftigen Bergbahn-Besitzer und heutigen Vorsitzender der Geschäftsleitung und Präsident des Verwaltungsrats der Weissen Arena AG.

«Mit ihnen wurde ein Konzessionsvertrag für die exklusive Erschliessung der Bergflanken und Hänge der Weisen Arena für 99 Jahre abgeschlossen. Eine Gegenleistung besteht darin, dass Einheimische – von Reto Gurtner mit Vorliebe Aborigines genannt – bei ihm billiger Ski fahren dürfen», steht in der Weltwoche. Es geht bei den Vergünstigungen an die Einheimischen also nicht bloss um ein Almosen der Bergbahn.

Einheimische sind auch Gäste – und Stakeholder

Einheimische haben für ihre Abonnemente bezahlt. Nicht nur die Abo-Preise sind für sie tiefer als für die Zürcher, sondern auch das Lohnniveau. Auch Einheimische kehren ein, konsumieren, wenn auch nicht im gleichen Ausmass wie die Auswärtigen. Sie sind jedoch nicht nur Gäste, sondern auch Steuerzahler und Stimmberechtigte. Als Einheimische profitieren sie nicht nur von den Leistungen der Bergbahnen, sondern erbringen auch Leistungen für die Weisse Arena, sei dies direkt oder indirekt.

Die Abhängigkeit

Die Region um Laax ist vom Tourismus abhängig. Einheimische stellen ihre Bedürfnisse deshalb in aller Regel hinten an, wenn es um die Erbringung der Dienstleistungen für einen Tourismusort geht. Einzelne berichteten denn auch in einem Interview von Radio Grischa, sie hätten mit dem «Pistenverbot» zu Gunsten der Touristen kein Problem. Auch auf Twitter schrieben Laaxer, dass sie unter dem Schreiben nicht leiden oder dass es ihnen egal sei. Andere empörten sich, sie fühlten sich bevormundet. Wer vom Tourismus und damit von den Bergbahnen abhängig ist, äussert sich in der Öffentlichkeit zurückhaltend oder lieber nicht. Es mag insofern mag von Vorteil sein, den Mund (die Tastatur unangetastet) zu halten, um einen allfälligen Reputations-Schaden, möglichst rasch abzuwenden. Ein paar Bündner Tweets, wie dieser von Denise Erni, gingen in diese Richtung. Die Bemerkung Gurtners gegenüber der Weltwoche betreffend Abstimmungen «Ich bekomme Ergebnisse wie Putin, nur bei mir stimmen die Leute freiwillig ab» zeugt vom grossen Einfluss der Gurtners.

Oft gehen Einheimischen dem «Gstürm» an den Bahnen und auf den Pisten an Feiertagen eh aus dem Weg. Weshalb will man auch noch die restlichen Einheimischen von der Piste wedeln? 

Die Ursache

Lange Wartezeiten und unzufriedene Gäste aufgrund der wegen Schneemangels nicht befahrbaren Talabfahrten haben wahrscheinlich wie ein Damoklesschwert über den Verantwortlichen der Bergbahnen geschwebt. Gurtner gegenüber der Handelszeitung: «Wir kämpfen mit allen Mitteln darum, die Talabfahrten in Betrieb zu nehmen. Nur drei kalte Tage zur intensiven Beschneiung und Pistenpräparation sind dafür ausreichend.» Die Wetterprognosen ab Freitag stimmen Gurtner deswegen auch positiv». Die Einheimischen inzwischen vorsorglich von den Pisten fernzuhalten, war scheinbar die Lösung.

Zwei Tage später schneite es. Und siehe da: Die Talabfahrt war wieder möglich. Gurtner würde eine solche Aktion wieder machen, gab er der Südostschweiz zur Auskunft. Als ob die Aktion «weniger einheimische Gäste an Weihnachten mehr Zufriedenheit bei den auswärtigen Gästen» eine positive Wirkung zeigen würde. Oder ging es vielmehr darum, die Aufmerksamkeit der Medien auf die Weisse Arena zu ziehen? 

Die Medien / PR

Die deutschsprachige Presse reagierte. Sie beschrieb die «Bitte» an die «geschätzten» Einheimischen als Aufforderung bis hin zum Verbot. Mehrheitlich positive Stellungnahmen von Einheimischen wurden gegenüber der Radiotelevisiun Svizra Rumantscha geäussert. Die Ferienhausbesitzer waren kritischer eingestellt. Der Gemeindepräsident hingegen zeigte volles Verständnis für die Aktion, obwohl sie nicht mit der Gemeinde abgesprochen war.

Wo Kommentare möglich waren, herrschten die negativen Reaktionen in den Online-Medien vor. In Klammern gebe ich die Anzahl Kommentare (negativ:positiv) an, die wenigen neutralen Kommentare habe ich als Verständnis, also positiv, gewertet. Mehrmalige ähnliche Kommentare derselben Person zählte ich nur einmal.

Die Medien deckten die Deutschschweiz ab.

Auch die ausländische Presse wurde auf Laax aufmerksam.

Haben die Medien mit ihrer kritischen Reaktion übertrieben? 

«Die Einheimischen haben ja gar nichts dagegen, kein Wunder werden die Medien unglaubwürdig» meinte einer meiner Kollegen. Die unorthodoxe Massnahme selbst jedoch war, wie der gewählte Zeitpunkt des Briefes, abgeschickt am 24. Dezember 2014, ideal, um eine breite Publikumswirkung zu erzielen. «Das sollte Reto Gurtner wissen», twitterte der Churer Christian Ruch. Dieser Meinung bin auch ich. Fakt ist, dass Laax auf diese Weise just über Weihnachten vom 24. bis 26. Dezember in den deutschsprachigen Medien prominent erwähnt war.

PR-Wow oder PR-Gau?

Kurzfristig hat die Aktion einen Vorteil: eine hohe Aufmerksamkeit im deutschen Sprachraum. Aufmerksamkeit ist ein wertvolles Gut. Ob sich die Menschen daran erinnern werden, in welchem Zusammenhang ihnen dieser Skiresort irgendwie vertraut vorkommt? Die Menschen, die Laax näher kennen, werden den Umgang mit den Einheimischen nicht vergessen.

Tweet Pius Kessler #Laax #GurtnerGate

Reputation besteht aus Geschichten. Vielen Geschichten. 

Vielleicht haben Sie sich über Weihnachten auf ein paar Skitage gefreut und die Berichte aus Laax gelesen. Machen Sie sich Ihre eigene Geschichte: Wie würden Sie als Einheimische/r reagieren? Wie als einheimischer Familienvater mit skifahrenden Kindern, Jugendliche/r, als Heimweh-Bündner/in, wie als Ferienhaus-Besitzer/in, wie als nationaler und wie als internationaler Gast?

Der Flimser Gemeindepräsident meinte, es gäbe keinen Image-Verlust (siehe Bote der Urschweiz). Schauen wir uns die Kommentare bei blick.ch doch mal genauer an:

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Beachtenswert: Kein einziger verständnisvoller Kommentar wurde mit einem überwiegenden «Gefällt mir» geschmückt (auch jene nicht, die nicht aufgeführt sind).

Könnte eine Wiedergutmachungsaktion für die Einheimischen allfällig verstimmte Gemüter wieder aufhellen? Für mich war am Weihnachtstag klar, dass eine ehrliche, glaubwürdige Wiedergutmachung nötig war.

Das Danke

Am Samstag, 24. Januar, genau einen Monat später, bedankt sich die Weisse Arena Gruppe fürs Verständnis und das Wegbleiben von der Piste. Das Danke ist wie die Bitte um das Wegbleiben von der Piste freundlich formuliert. Ein Gipfeli kostet nicht viel. Hohe Kosten wären unglaubwürdig. Ob eine persönliche Einladung versandt wurde oder nicht, ist mir nicht bekannt. Für die jungen, begeisterten Skifahren, könnte es attraktiv gewesen sein.

Andererseits bezweifle ich, dass ein Danke die emotionalen Wogen zu glätten vermag, die diese Aktion auf wühlte. (Bildquelle Titelbild: Pius Kessler via Twitter @keschpi).

Mein Fazit: Ein schwarzer Fleck auf der Weissen Arena

Nachahmens- und wiederholenswert ist diese PR-Aktion meines Erachtens nicht. Ich betrachte sie als PR-Flop, weil ich deren Wirksamkeit in Frage stelle und deren negative Auswirkungen für die Gratis-PR als zu hoch erachte. Ich finde sie unangemessen und ungerecht, kurz: diskiminierend. Es geht leider nicht um Gastfreundschaft. Zudem hinterlässt sie einen bitteren Nachgeschmack, wie wenn ein Gastwirt die Einheimischen bitten würde, das Wirtshaus an Weihnachten nicht zu besuchen, weil er mit deren Gästen mehr Umsatz macht. Sie müssten zudem damit rechnen, dass das sich die «höfliche» Bitte ein nächstes Jahr wiederholt. Benachteiligung wird durch Höflichkeit nicht zur Gleichbehandlung.

Schneemangel in den unteren Lagen ist keine Ausnahmesituation, sondern seit etlichen Jahren eine bekannte, zunehmende Gefahr. Diese Situation wird in einem kommenden Jahr wiederholen. Ich empfehle, Aktionen zusammen mit den Einheimischen auszuhecken, wenn zusammen mit den Einheimischen (auf deren «Buckel») ein Ziel angestrebt ist. Dem Tourismus integrierte Einheimische mehr als ausgeschlossene. Mit den neuen Medien stehen zusätzliche öffentliche Möglichkeiten bereits bei der Ideenfindung – mit Einbindung der Gäste von nah und fern – zur Verfügung. So hätte eine Aktion das Potential positiv und gleichzeitig medienwirksam zu sein. Respekt und Wertschätzung gegenüber allen Anspruchsgruppen ist dafür eine fruchtbare Grundhaltung.

Laax hat diese Aktion einen schwarzen Fleck auf seiner Weissen Arena beschert.

 

Anmerkung: Das Fallbeispiel werde ich im Unterricht zum Thema Online-Repuation aufnehmen. Ich bin gespannt auf die Reaktionen der Studierenden in den Rollen der verschiedenen Stakeholder.

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