Wie wird eine Content Strategie an einer Hochschule eingeführt? Welche Stolpersteine sind zu umgehen und wie verläuft der Weg in der Praxis?

Im Workshop «Content Strategy for Higher Ed» des Content Strategie Forums (#csforum14), einem 3-stündigen Vortrag, erzählten uns Brigitte-Alice Radl und Heinz Wittenbrink von ihrem Engagement an der Fachhochschule Johanneum in Graz. Ihnen danke ich herzlich für die Offenheit, mit der sie aus ihrem Nähkästchen berichteten.

Das Projekt hat Forschungscharakter. Brigitte-Alice Radl und Heinz Wittenbrink wollen die Content Strategie nicht nur methodisch sauber abwickeln, sondern auch eine Standard-Methodik entwickeln. Im Rahmen eines Forschungsprojekts untersuchen sie, wie Content Strategie für die Hochschulen umgesetzt werden kann und setzen sie gleichzeitig um. Eine Medaille mit zwei Seiten. Sie sind am Institut für Journalismus und PR tätig und planen, einen Masterstudiengang in Content Strategy anzubieten.

1. Die Besonderheiten von Hochschulen

Hochschulen haben eine komplexe Struktur und eine sogenannte Expertenorganisation. Durch das breite Themenspektrum sprechen sie unterschiedlichste Zielgruppen an und haben innerhalb der Organisation verschiedene Königreiche oder Silos, wie sich abgrenzende Abteilungen genannt werden.

  • Institutionelle Ambivalenz.
    Ambivalenz und Widersprüchlichkeiten: Die FH Johanneum ist GmbH und Hochschule zugleich. «Ich bin Professor – ich bin Angestellter, so nimmt sich jeder seinen Freiraum». Diese Ambivalenzen wirken sich auf die Content Strategie aus.
  • Jede Hochschule ist einzigartig.
    Jede Hochschule ist ein eigener Brand. Meist steht leider oft nirgends, wodurch sie sich von einer Universität oder von anderen Fachhochschulen unterscheiden (USP). Vergleichen lassen sie sich weder gut noch gerne (fehlendes Ranking).
  • Hochschulen haben vielfältige Zielgruppen und Themen. 
    Sie sind dezentral organisiert. Das führt zu unterschiedlichen digitalen Angeboten einer fehlenden einheitlichen Brand Experience.
  • Hochschulen sprechen kaum je mit einer Stimme. 
    Sie haben oft keine konsistenten Botschaften. Damit erschweren sie es den NutzerInnen, sich mit der Organisationen zu identifizieren. (In den USA beherrschen sie es besser, ihren Interessierten zu sagen wie toll sie sind.)
  • Hochschulen sind komplex
    Die Hochschulen sind dezentral organisiert. Es fehlt oft eine Gesamtstrategie, die aussagt, wohin die Hochschule als Ganzes gehen will.

Die dezentralisierte Publikationspraktiken hat an der FH Johanneum die Konsequenz, dass sie in einer «Monsterwebsite» ausdrückt (Beispiel: die Website besteht aus 12’000 Webseiten, die von 421 Web-Redakteuren bearbeitet wurden).

«(…) literally every piece of information gets put out there, and it’s put out the by hoards of individuals that are ulimately not qualified to edit web sites. So we grow.“ Michael Fienen in «Why Hider Ed Sucks at Content Strategy» 

Die obigen Punkte können durchaus auch für Unternehmen zutreffen …

2. Die Stolpersteine

Auf dem Weg sind viele Stolpersteine auszuräumen, wie:

  • zu viel Content
  • keine strategische, langfristige Planung
  • keine Content-Abteilung/-Redaktion
  • keine klaren Strukturen & Prozesse
  • zu wenig qualifiziertes Personal und Ressourcen.

Die Hauptschwierigkeit besteht nicht darin, einheitlichen Content herzustellen. Schwierig ist, was die Menschen betrifft. Menschen haben unterschiedliche Meinungen, Gewohnheiten, Einstellungen usw. Radl hört Bemerkungen wie «Wir haben keine Zeit, keinen Nutzen, keinen Vorteil. Eigentlich mag ich dich nicht. Du bist nicht von unserer Abteilung, was du machst, geht mich nichts an.» Eine weitere Schwierigkeit für sie ist die organisatorische Verzettelung, selbst jene des eigenen Teams: Ein Teil ist in der Forschung, ein Teil im Marketing zu Hause. Die Marketingleiterin hat – berechtigterweise, wie Wittenbrink anfügt – andere Ziele.

«Die Konkurrenz zu Hochschulen sind die Massive Open Online Courses (MOOCs). David Gelernter postitulierte, dass von den Hochschulen in der Zukunft nicht mehr übrig bleibe als von mittelalterlichen Klöstern. Die Lehre werde sich komplett ins Web verlagern.» Diese Bemerkung von Wittenbrink weist darauf hin, dass der Wettbewerb in den Online Medien von strategischer Relevanz ist.

Stolpersteine für die NutzerInnen

Die meisten Seiten der FH Johanneum werden via Google aufgerufen. Auf der Website stolpern die Interessierten über:

  1. fehlende Orientierung (Seiten- und Textstruktur)
  2. schlechte Auffindbarkeit & Aufbereitung der Inhalte (Textwüsten)
  3. schlechte Verständlichkeit der Inhalte (bürokratischer oder wissenschaftlicher Jargon)
  4. fehlende Identifzierungsmöglichkeiten (Uneinheitlichkeit)
  5. mobile Nutzung nur eingeschränkt möglich (Technik)

Stand der Technik

Zum aktuellen Stand der Technik an der FH Johnneum meint Wittenbrink: «Wordpress ist nicht die bestmögliche Lösung, doch damit können alle arbeiten. Was man damit nicht machen kann, brauchen wir – etwas pointiert gesprochen – nicht.» Wenn das CMS zu mühsam ist, nutzen es die Mitarbeitenden nicht. Für die Inhalte, die die nicht nur fürs Web produziert werden, braucht es jedoch mehr, wie zum Beispiel die Bios der Lehrenden. Eine Datenbank. Dazu gehört ein Content System, um publizieren. Zur Zeit wird Sharepoint an der FH Johanneum eingeführt. Ein übergreifendes System ist gefragt und WordPress diente dann bloss noch als Publishing System. Die Systeme sind zur Zeit jedoch redundant. «Wie wir das alles auf einen Nenner bringen, wissen wir noch nicht», gesteht er.

3. Ziele der Content Strategie an der Hochschule

Es geht bei der Content Strategie nicht bloss darum eine PR-Strategie zu schreiben und dann zu glauben, das Problem sei gelöst, sondern eben auch darum, die Strukturen, Prozesse wie die Betriebskultur der Strategie anzupassen. Die Ziele:

  1. strategisch & langfristige Planung
  2. zirkulärer Prozess
  3. methodisches Framework
  4. Bedürfnisse der NutzerInnen & Ziele der Organisation
  5. Organisation als Publisher, Content als Business Asset
  6. Change Management

«Content strategists are the agents of change»

Um das Change Management an der Hochschule erfolgreich zu gestalten, sind institutionelle, menschliche und technische Aspekte zu beachten. Dabei gibt es viel zu tun:

  • Investition von Ressourcen
  • Festlegen von Verantwortlichen mit Entscheidungskompetenz
  • Veränderung der MitarbeiterInnen-/Abteilungsstruktur
  • Veränderung der Rolle von Marketing, PR und anderen Abteilungen
  • Weiterentwicklung von Branding & Messaging
  • Veränderung des Zielgruppenverhaltens
  • Veränderung der Organisationskommunikation insgesamt (offen, flexibel, transparent, abteilungsübergreifend).

«People need to be welll-prepared … » Christina Halvorson in Content Strategy for the Web

«Den Begriff Content Strategie zu verankern, insbesondere bei Leuten, die nicht professionell damit arbeiten, ist eine grosse Herausforderung» betont Wittenbrink und belegt seine Worte mit einem Beispiel: Die PR-Abteilung der FH Johanneum schreibt die Stelle für einen Content Manager statt einen Content Strategisten aus. Content Strategie sei intern nach zwei Jahren noch immer kein geläufiges Thema.

4. Praxisbeispiele aus USA

Die University at Baffalo, die Indian University of Pennsylvania und die Vanderbilt University wurden als Best Practice Beispiele zitiert. Sie sind in diesem Artikel verständlich erklärt. Weitere Informationen dazu sind in der Präsentation von Radl und Wittenbrink zu finden. Ich fokussiere in diesem Artikel auf das Projekt an der österreichischen Fachhochschule.

5. Das Vorgehen der FH Johanneum

Das Licht schaltet bei Projekten nicht automatisch auf grün. Wundermittel sind verständlich aufbereitete Fakten und einleuchtende visuelle Darstellung mit Fragen wie «Zeigen Ihnen unsere Publikationen, was die Hochschule leistet?» – «Würden Sie sich hier wohlfühlen?» und die dazugehörigen Antworten aus einer aktuellen Erhebung. Diese vermögen die Geschäftsleitung davon zu überzeugen, das Budget zu genehmigen. Das Team Wittenbrink und Radl konnte darlegen, dass Anknüpfungspunkte und Identifizierungsmöglichkeiten mangelhaft waren und erhielt so grünes Licht für ihr Projekt.

Die Fachhochschule Johanneum hat sich für folgendes Vorgehen entschieden:

Das Audit (Datenerhebung) bot dem Team die Grundlagen, die Leitung davon zu überzeugen, das Budget von Euro 300’000 (plus viele gratis Mitarbeitenden, die nicht eingerechnet sind) zu genehmigen. Nicht nur deshalb ist ein Audit unabdingbar: «Ohne Audit gingen die neuen Botschaft zu Grunde wie die alten», warnt Wittenbrink.

Nach dem Audit und dem OK der Geschäftsleitung ging es an die Message Architecture (nach der Methode Card-Sorting von Margot Bloomstein), welche die Frage beantortet, wie die Hochschule wahrgenommen werden will. Die FH Johanneum wählte dafür die Methde Card-Sorting von Margot Bloomstein. Das Resultat: Attribute und Kernbotschaften.

Sie arbeiteten nach folgender Methodik weiter:

Methodik Content Strategy

 (Bild: Auszug aus der Präsentation)

Für den Content wandten sie den Lückentexttest an (Cloze-Test), um Lesbarkeit, Verständlichkeit usw. zu überprüfen. (Die menschennahe Sprache hatte im Gegensatz zur Studiensprache eindeutig die besseren Zugriffsraten). Die Suchmaschinenoptimierung (SEO) wurde weder im Audit noch bei der Themenentwicklung integriert (das ist keine Empfehlung, sondern Faktum eines Praxisbeispiels). Beim Usability Testing setzten sie die Methode Thinking aloud sowie die Holistische Validierung (Profis sagen bei einer ganzheitlichen Betrachtung schnell, wo sie Probleme sehen). Sie folgten in diesen folgenden Prioritäten: Content first  – Mobile first (beim Design) – Users first (bei der Usability).  

Die Präsentation

 

Fazit

An der Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ) war ich als Leiterin Marketing & Kommunikation für den Relaunch der Website verantwortlich, weshalb für mich der Vortrag von Radl und Wittenbrink – im Gegensatz zu den anderen Zuhörenden aus der Agentur- oder Unternehmensseite – spannend war. Manches war mir sehr vertraut. Eigeninitiative war Trumpf. Um ein Webprojekt mit einer übergreifenden Content Strategie hochzufahren, braucht es neben Eigeninitiative viel Engagement, verbunden mit einem guten Austausch, um die strukturellen und kulturellen Prozesse trotz der vielbesagten Ressourcenknappheit zu managen. Technisch ist «alles» machbar.

Die Ausgangslage der FH Johanneum ist beispielhaft für Hochschulen und Universitäten. In der Schweiz haben wir ein ähnliches Bildungssystem wie die Österreicher. Das Nadelöhr liegt bei den Menschen, die in diesen gewachsenen «Silos» (NB: «You can’t break them down, but you can connect them») arbeiten. Das Team Radl und Wittenbrink geht bei der Lancierung der Content Strategie grösstenteils schulbuchmässig vor, mit Integration der Praxisberichte aus den USA. Ihr Bericht lässt mich vermuten, dass wir in der Schweiz ein paar Schritte weiter sind, zumindest organisatorisch, was die Fachhochschulen anbelangt. Eine Vereinheitlichung wird bei einigen Hochschulen weniger stark forciert, bei anderen (Fachhochschulen) sind zentral gesteuerte Marketingabteilungen dafür zuständig. Dass Content Strategie im hier genannten Sinne (nach amerikanischem Vorbild) bereits angewandt sind, bezweifle ich jedoch sehr.

Die FH Johanneum mit ihren rund 4’000 Studierenden, 40 Studiengängen an 3 Standorten ist vergleichbar mit der FH St. Gallen, die mit 3’000 Studierenden in 4 Fachbereiche und 6 Instituten gegliedert ist oder mit der FH Ostschweiz mit 6’000 Studierenden. Die anderen kantonalen Schweizer Fachhochschulen sind grösser: die Zürcher Fachhochschulen (18’000 Studierende), die Fachhochschule Nordwestschweiz (10’000 Studierende), die Hochschule Luzern (10’000 Studierende) und die FH Bern (6’800 Studierende).

Meine Frage

Sind die Schweizer bei ihren Hausaufgaben schon weiter fortgeschritten oder nicht? Wird Content Strategie in den Marketing- und Kommunikationsstudiengängen gelehrt und an der eigenen Hochschule auch umgesetzt? Vielleicht nicht so genannt? Ich bin auf Feedback gespannt.

Wer mag aus dem Hochschulleben berichten?  

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