Markenjournalismus ist für die Kommunikationsbranche eine Chance. Ist es gleichzeitig eine Gefahr für den Journalismus? Simon hat sich in seiner Masterarbeit mit dieser Gratwanderung zwischen Journalismus und Unternehmenskommunikation auseinandergesetzt.
Simon, warum hast du dich entschieden, deine Masterarbeit dem noch jungen Begriff Markenjournalismus zu widmen?
Am Anfang meines Studiums habe ich als Redaktor bei der Netzwoche gearbeitet – im zweiten Teil in die Marketingkommunikation eines Unternehmens gewechselt. So habe ich beide Seiten kennen gelernt. Mir ging es darum, in meiner Arbeit beides, Journalismus wie Marken-Kommunikation zu integrieren. Als ich auf den Begriff Markenjournalismus traf, wollte ich wissen, was genau dahinter steckt und wie man dies im deutschsprachigen Raum nutzt und beurteilt. Hierzulande gibt noch wenig Literatur. In den USA sind sie da schon viel weiter.
Weshalb hast du die Seite gewechselt?
In vielen Verlagen wird gespart. Es fehlten mir deshalb die Perspektiven im Journalismus aufgrund der schwierigen ökonomischen Ausgangslage. Vor allem wenn man nicht schon 16-jährig im Journalismus begonnen hat. Gute Perspektiven haben nur noch die besten, die früh angefangen haben und sehr talentiert sind. Die breite Masse wird mit weniger auskommen oder wechseln müssen. Das ist eine pessimistische Sicht, um im Verlagswesen zu arbeiten, ich weiss. Die journalistische Kommunikation in verlagsfremden Unternehmen nehmen zu und die Perspektiven werden besser. Journalismus und Unternehmenskommunikation verschmelzen stärker. Dadurch ist der Bereich Unternehmenskommunikation für mich spannender geworden.
Was ist Markenjournalismus genau?
Markenjournalismus ist Journalismus über Marken, Produkte, Dienstleistungen und Unternehmen. Wie stark sich die Marke da in den Vordergrund drängt, ist unterschiedlich. Bei Coca-Cola ist die Marke omnipräsent. Bei der B2B-Plattform von Sophos, Naked Security, ist sie weniger offensichtlich. Beide Plattformen werden von Experten als Markenjournalismus eingestuft.
Was für dich der wesentliche Unterschied zwischen Journalismus und Markenjournalismus?
Die Sichtweise ist oft eine Generationenfrage. Die scharfe Trennlinie zwischen dem Journalist, der rein im Interesse der Nutzer handelt, und dem Unternehmenskommunikator, der nur die Interessen eines Unternehmens vertritt, ist meines Erachtens etwas antiquiert. Sie zeichnet das Bild vom „guten“ Journalisten und vom „bösen“ Unternehmenskommunikator. Diese scharfe Trennline muss man meiner Meinung nach pragmatischer anschauen. Auch Verlage arbeiten nicht gänzlich unabhängig. Auch sie sind interessengesteuert. Dies alles wird nun transparenter. Und die Markenkommunikation ist nicht so leserfeindlich wie oft behauptet wird. Allerdings werden in der Markenkommunikation kritische und sehr kritische Hinweise unterlassen. Kritische Berichterstattung bleibt eine Aufgabe des klassischen Journalismus.
Welches sind die Unterschiede zwischen Markenjournalismus und Content Marketing?
Wenn ich eine Plattform sehe, kann ich nicht sofort sagen, ob es sich um Content Marketing, Markenjournalismus oder Corporate Publishing handelt. Einer der befragten Experten wollte klar unterscheiden zwischen Content Marketing und Markenjournalismus. Im Markenjournalismus tue sich die Marke stärker hervor – das sei der Unterschied. Für mich ist Content Marketing der Begriff für eine Art, wie man Marketing machen kann. Markenjournalismus dagegen ist weniger umsatzorientiert und näher bei der PR als beim Marketing anzusiedeln
Wie grenzt du Markenjournalismus von Corporate Publishing ab?
Markenjournalismus ist Berichterstattung von und über eine Marke. Markenjournalismus gibt es quasi vom Niveau 20 Minuten bis NZZ. Es gibt somit auch niederschwelligere Formate, die stärker markenzentriert sind. Corporate Publishing dagegen hat die Aufgabe, das Unternehmen als wichtig zu positionieren. Corporate Publishing sollte deshalb auf dem Niveau der NZZ angesiedelt und das Endprodukt hochwertig sein.
Welches sind typische Merkmale markenjournalistischer Artikel?
Ein neutral bis positiver Artikel und wenig kritischer journalistischer Beitrag ist typisch für den Markenjournalismus. Das ist sicher ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal. Je nach Marke geht die Botschaft an ein breiteres oder weniger breites Zielpublikum. Aber von der Qualität und von der Aufmachung her ist es sehr nahe an einem journalistischem Format. Wenn man das Logo/die Marke wegnehmen würde, kann man den Artikel von einem journalistischen Format nicht oder kaum unterscheiden.
Wie grenzt du PR vom Markenjournalismus ab?
Markenjournalismus – ist aus meiner Sicht stärker plattformorientiert und sollte eine journalistische Plattform beinhalten. Unter PR verstehe ich die Gesamtheit von Öffentlichkeitsarbeit mit sämtlichen Stakeholdern. Markenjournalismus kann ein Teil davon sein.
Wie kommt es, dass Native Advertising so skeptisch betrachtet wird, Markenjournalismus jedoch mit Handkuss aufgenommen wird?
Im Grunde geht es wohl darum, dass Native Advertising in ein journalistisches Umfeld eindringt. Native Advertising ist redaktionelle Online-Werbung, wie eine Publireportage. Beim Medienportal Watson sieht man dieses Format ab und zu, wenn PR Artikel mit Nutzwert publiziert werden. Natürlich wird offen gelegt, dass es sich um einen bezahlten Artikel handelt. Im Markenjournalismus werden dagegen eigene Kanäle aufgebaut. Markenjournalismus ist somit weniger der „Eindringling“.
Man sagt, mit dem Markenjournalismus nimmt PR dem Journalismus etwas weg. Ist das auch deine Meinung?
Markenjournalismus wird von journalistischer Seite nicht erforscht. Da kommt alles aus der PR heraus. In der Medienökonomie wird eher nach Apps, Pay-Walls und neuen Vertriebswegen geforscht als nach Markenjournalismus. Für den Journalismus ist dies somit kaum ein Thema. Der Journalismus sollte sich jedoch meiner Meinung nach sehr stark mit diesem Thema auseinandersetzen. Es wäre ja auch eine neue Einnahmequelle! Und man hätte gute Inhalte. Meines Erachtens haben viele klassischen Medienverlage noch ein Brett vor dem Kopf.
Ist Markenjournalismus und Native Advertising für den Printournalismus ein gangbarer Ausweg? Ist „Watson“ auch ein Weg für die NZZ und den Tagi?
Das passiert eigentlich teilweise schon länger, einfach nicht unter dem Etikett Markenjournalismus In Sonntagszeitungen gibt es Beilagen zum Beispiel zu den Themen Lebensstil und Luxus. Das sind eigentlich reine Werbebünde. Sie nennen es halt nicht Markenjournalismus, sondern verkaufen es als „normale“ Beilage.
Wie macht es Forbes mit Brand Voice? Du hast Forbes in deiner Masterarbeit als Paradebeispiel in Sachen Markenjournalismus beschrieben.
Forbes stellt seine Plattform Marken zur Verfügung. Unternehmen können die Forbes-Plattform nutzen, um für sie relevante Inhalte zu publizieren. Beide redigieren – inhouse / extern. Der grosse Vorteil: Die Marke selbst muss keine eigene Plattform aus dem Boden stampfen.
Wäre das nicht gerade in der Schweiz CH bei so vielen KMU sinnvoll?
Auf jeden Fall. Die Schweizer Verlage werden auch noch darauf kommen. KMUs können sich oft weder eine Plattform noch das Artikelschreiben leisten. Dafür gibt es PR- und Kommunikationsagenturen, die das machen. Doch theoretisch könnten dies auch Verlage anbieten und damit ihr eigenes Angebot aufwerten. Sie geben der Community eine Möglichkeit, etwas zu publizieren. Damit erhöhen sie die Vielfalt an Beiträgen. Ich sehe so eine Chance für Verlage, die von häufig noch nicht gesehen wird.
Wie lautet Dein Rat an die Printmedien?
Medien müssen sich positionieren und investieren. Bei der Vermischung von Publikumsbeiträgen und rein journalistischen Artikeln vorwärts machen – das ist für mich offensichtlich. Mehr Transparenz bei den Werbebünden und eine pragmatischere Haltung ist erforderlich. Ich finde, die NZZ macht es recht gut. Sie investiert in journalistische Qualität. Das merkt man, das finde ich persönlich gut – ob es erfolgreich ist, weiss ich nicht. Die Tamedia kauft „en masse“ E-Commerce-Plattformen und Internet-Start-ups auf. Sie sichert so das Überleben des Unternehmens, was aber nicht unbedingt die journalistische Glaubwürdigkeit und Qualität der Medienprodukte fördert.
Welche Unternehmen betreiben guten Markenjournalismus?
In der Masterarbeit habe ichdie Coop-Zeitung, das Migros-Magazin, Coca Cola Journey, und auch Naked Security von Sophos, The Network von Cisco untersucht. Ein spannendes Schweizer Beispiel ist auch Westnetz von der VBZ. Diese Plattform würde ich auch als Markenjournalismus bezeichnen. Es ist eine sehr spannende und innovative Plattform zwischen Online-Journalismus und Unternehmenskommunikation. Ein weiteres Beispiel ist The Financialist von Credit Suisse – eine Online-Plattform für Investoren, die mit externen und eigenen Experten als Redaktoren operieren. Nur findet man sie nicht so einfach – die Plattform wird nicht breit vermarktet.
Ist der Trend von Unternehmensmedien deiner Meinung nach ein Hype, der wieder abnimmt, sich stabilisiert oder weiter geht?
Ich glaube, der Trand geht so weiter. Wenn man das bis zum Ende durchdenkt, hat irgendwann jedes Unternehmen ein eigenes Medium. So weit kommt es jedoch nicht, weil es sich nicht alle leisten können. Die andere Frage ist: Braucht es den klassischen Journalist noch? Auf jeden Fall! Ich glaube, es braucht ein gutes Gleichgewicht. Wenn es nur noch Unternehmensmedien gibt, ist das für alle schlecht.
Markenjournalismus hat in Nischen eine grosse Chance, um Leser und Community zu finden, und kann auch der einen oder anderen Fachzeitschrift das Wasser abgraben. Doch die Verlage werden erkennen, dass sie auch in Nischen erfolgreich tätig sein können. Man sollte als verlagsfremdes Unternehmen also nicht blind investieren. In ein paar Jahren kann sich vieles verändern. Für das eine oder andere Unternehmen macht es deshalb Sinn, die klassische Medienarbeit weiter zu betreiben.
Was war für dich ein Highlight deiner Masterarbeit?
Das Zitat von Mahmud Tschannen fand ich herausragend: Er wurde am MAZ eingeladen als Referent am Multimediatag. Dann sagte er, dass er, der zuletzt beim Tagi arbeitete, nun in die Kommunikationsbranche gewechselt sei. Der Schulleiter des MAZ sagte ihm: „Für die andere Seite haben wir eine andere Veranstaltungsreihe.“
Die Aussage zeigt typisch auf, dass der Markenjournalismus wie PR für den klassischen Journalismus die andere Seite darstellt. Die Grundproblematik: Die Vermischung der Kommunikationsdisziplinen wird je länger je mehr zum Standard. Man sollte aufhören, sie so stark abzutrennen. Es sind unterschiedliche Jobs, aber beide machen etwas im Interesse der Leser. Man sollte keinen Keil dazwischen treiben.
Herzlichen Dank für das schön abgerundende Schlusswort.
Auszug aus der Masterarbeit: Das Fazit (PDF)
Zur Person: Simon Zaugg (31) schloss kürzlich den Masterstudiengang New Media Journalism, welche von der Leipzig School of Media in Kooperation mit drei weiteren renommierten Instituten der journalistischen Weiterbildung organisiert wird. Simon ist derzeit in leitender Funktion beim Internet-Start-up Cloudrexx tätig für den Auf- und Ausbau des Jungunternehmens und betreut dabei auch Kommunikation und Marketing. Ursprünglich lernte Simon Polygraf und war nach dem Bachelor-Studium (Medien- und Kommunikationswissenschaften) während drei Jahren als Fachjournalist bei der IT-Business-Zeitschrift Netzwoche tätig.
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