Für mich hat der Sturm am 22. August 2011 um 10:43 Uhr mit Donnergrollen angefangen. Ein Tweet liess mich hellhörig werden. Andreas Freimüller vom Kampagnenforum GmbH in Zürich, alias @Rasgariwat auf Twitter, rief zur Meinungskundgebung auf. Mammut, der Bergsteiger-Einkleider, hatte sich auf der co2.ch Website gegen das CO2-Gesetz gestellt. Damit stand Mammut zusammen mit Economiesuisse gegen die Pläne ein, wonach bis 2020 die CO2-Emissionen um 20 Prozent im Inland gesenkt werden sollen.
Der Shitstorm braut sich zusammen
Mammut hatte in den vergangenen Jahre Werte wie Natur, Umweltbewusstsein, den Einsatz für eine intakte Umwelt und Berglandschaft und auch Nachhaltigkeit aufgebaut – und tat dies gut und glaubwürdig. Ein Zitat von Rolf Schmid, CEO Mammut Sports Group: „Für uns als Schweizer Alpinfirma ist eine intakte Umwelt und Berglandschaft nicht nur aus wirtschaflicher Sicht von großer Bedeutung. Wir selbst sind in den Alpen zu Hause und sind leidenschaftlich gerne in den Bergen. Mammut lebt von und für die Natur.“
Für Mammut-Fans war es unerklärlich, wie sich ein ausgewiesener Naturfreund gegen das CO2-Gesetz stellen konnte, wie auf Facebook gleichentags auf Kommentaren ab 09.56 nachzulesen ist. Sie stellten Mammuts widersprüchliche Verhalten auf der Facebook Fanseite in Frage. Mammut wurde ruhig. Die Antworten des Unternehmens blieben aus. Der Shitstorm braute sich inzwischen zusammen.
Vorgefertigte PR-Texte eignen sich nicht
Nach ein paar Stunden schien die von oben abgesegnete Antwort eingetroffen zu sein. Sie wurde leider bei jeder Gelegenheit zitiert:
„Für uns reduziert sich die ökologische Unternehmensverantwortung nicht nur auf die Frage der CO2-Emissionen oder des CO2-Fussabdrucks. Vielmehr verfolgen wir einen umfassenden Ansatz, der am Anfang des Produkt-Lebenszyklus ansetzt. Das heisst, wir versuchen vom Design über die Auswahl der Stoffe bis hin zur Verarbeitung ökologische Kriterien einfliessen zu lassen und das Produkt aus ökologischer Sicht zu optimieren. Dabei darf natürlich weder die Qualität noch die Performance und Funktionalität der Produkte einstecken – das ist unser Versprechen an unsere Kunden.“
Wie konnten sich die Fragenden da ernst genommen fühlen? „PR-Bla-Bla“ quittierten Facebook-Fans diese Antwort. Dass kopierte Antworten immer wieder verwendet werden, mag im 1:1 Kontakt funktionieren, nicht aber in den sozialen Medien, wo jeder die Fragen und Antworten seines „Vorgängers“ lesen kann.
Der eine drohte mit der Abkratzen des Mammut-Logos auf dem Rucksack, ein anderer schwor, künftig auf Mammut-Produkte zu verzichten.
Zuhören lohnt sich
Daniel Graf, Mediensprecher bei Amnesty International, gab nicht nach. Er wollte nach wie vor verstehen, wie ein derartiger Widerspruch zwischen der bisherigen Mammut-Position „Natur über alles“ und der Teilnahme auf der CO2-Liste entstehen konnte. Also hakte er nach. Manchmal kommt eine Antwort aus einer anderen Ecke, als man sie erwartet. Fans antworten Fans:
Einsicht und Abkehr von der Liste
Einen Tag nach dem Beginn des Shitstorms hatte sich Mammut entschieden, sich von der Co2.ch Liste auszutragen. Mammut teilte ihre Erklärung in ihren Notizen auf Facebook mit: „Die massive Kritik der vergangenen Stunden auf der Facebook Page hat uns veranlasst, den Eintrag auf der Webseite co2.ch per sofort zu entfernen“. Mit ihrer Abkehr ernteten sie vorwiegend Beifall – für die Einsicht, deren schnelles und richtiges Handeln aus Sicht der Fans und für das Geständnis, dass die Teilnahme auf der Liste eine unüberlegte Handlung war.
Hat Mammut nun den Fans nachgegeben und so Schwäche gezeigt? Unbedacht von Mammut war, sich trotz ihrer Repuation auf die Liste zu setzen. Schwach war, PR-Statements in nahezu jede Antwort einzukopieren. Stark hingegen war die Abkehr von der Liste. Stark ist es einzusehen, dass ein Shitstorm keine Plattform für eine Grundsatzdiskussion für oder gegen das CO2 Gesetz ist und von einer Position abzulasssen. Erleichternd für Mammut war dabei, dass das CO2 Gesetz für sie nicht von strategischer Bedeutung war. Mammut wurde von seinen Fans schlussendich dafür gelobt, dass Sie einsichtig waren, umkehren konnten und unüberlegtes Handeln zugestanden haben.
Die CO2 Debatte konnte im Shitstorm nicht vertieft werden. Erstens, weil das vorgefertigte PR-Statement dazu nicht taugte, zweitens, weil der Shitstorm dafür nicht der geeignete Zeitpunkt war und drittens, weil die Teilnahme an der Liste als Widerspruch zu den Grundwerten der Unternehmung interpretiert werden konnte. Den Fans ging es um die Werte, die Mammut vertritt. Hinter diesen zu stehen bedeutet, Gratwanderungen zwischen Umweltschutz und Wirtschaftlichkeit unter die Füsse zu nehmen. Bisher gelang dies Mammut, nicht zuletzt durch erfolgreiche Kommunikation.
Was geschehen wäre, wenn Mammut auf ihrer CO2-Position beharrt hätte, können wir nur erahnen. Image- und Reputationsschäden, im schlimmsten Falle (z.B. einem Boykott-Aufruf) Umsatzeinbussen könnten die Folgen sein. Mammut hat innert 24 Stunden richtig gehandelt und den Shitstorm besänftigt. Der Sturm hat ich daraufhin gleich im Social Media Wasserglas gelegt.
Was lernen wir daraus?
- vorgefertigte PR-Texte eignen sich nicht zur Vervielfältigung
- ein Shitstorm ist keine neutrale Diskussionsform, sondern wird sehr emotional geführt
- in einem Shitstorm ist schnelles, wirksames Handeln von Vorteil
- zuhören, was Sache ist -> verstehen, was die Fans bewegt und darauf eingehen -> tun, was sinnvoll ist
- Widersprüche zwischen erklärten Werten und effektivem Verhalten können Konsequenzen nach sich ziehen
- Authentizität und Transparenz werden geschätzt
Wie beurteilt Ihr die Abkehr von Mammut von der CO2 Liste ? Welches sind für Euch die wichtigsten Learnings?
Linktipps
- Tagesanzeiger: „Mammut am Social Media Pranger“
- Unic: „24 Stunden Shitstorm über Mammut“
- Kampaweb: „Der Mammut „Shitstorm“ – oder wie man gegen Economiesuisse Kampagne führt ohne sich um den Gegner zu kümmern„
- Bernetblog: „Umweltaktivist gegen Mammut: Angriff am Gipfel„
Gute zusammenfassende Betrachtung und schönes Fazit. Mit wirft der Mammut-Fall mehrere Fragen auf:
1) Wieso werden Mitgliedschaften und Sponsoring nicht auf Markenattribute überprüft. Ist für mich als Marketing-Mensch zwingend und auch wenn das über den Kumpel des CEO reinkommt. Und wenn das „unumgänglich“ ist – es gibt sie ja, solche Kräfte -wieso wird dann nicht eine Begründung festgehalten.
2) Authentizität und Transparenz wird schon lange gefordert und geschult. Social Media deckt die Defizite schonungslos auf. Wieso werden diese Attribute immer noch nicht beherzigt, selbst bei einer sonst kundennah erscheinenden Firma wie Mammut?
3) last but not least:
Wie geht man mit einem Thema um, dass sehr kompliziert ist und für das, bei genauerer Betrachtung, auch eine Haltung wider die öffentliche Mehrheitsmeinung Sinn macht. In Social Media Kanälen könnte so etwas einen „shitstorm“ auslösen. Alle Argumentationen würden zu kurz greifen, weil man mit ein paar Zeilen nicht alle Zusammenhänge erläutern kann und die Diskussion für und wider nur mit dem Erkennen all dieser Zusammenhänge korrekt geführt werden kann. Wie geht man damit um?
@Marc Ich danke dir für deine lobenden Worte sowie die anregenden Fragen.
Meine persönlichen Antworten dazu:
1) Manchmal stimmt die Praxis nicht der Theorie überein. Ich gehe jedoch bei Mammut davon aus, die Marketingverantwortlichen waren entweder einverstanden oder sind zumindest informiert worden. Sollten sie vor vollendete Tatsachen gestellt worden sein, haben der VR und die Geschäftsleitung die Verantwortung über diesen Entscheid übernommen. Sie waren offensichtlich überrascht, dass ihre Bezugsgruppen bzw. Fans und Followers – noch dazu auf ihre selbst deklarierten Werte hinweisend –anderer Meinung waren.
2) Authentizität und Transparenz ist für ein Unternehmen keine einfache Angelegenheit. Es lauern viele Falltüren. Keine Unternehmung ist vor Fehlern und Ungereimtheiten gefeit, die heute durch Social Media schneller öffentlich sind. Unsere Welt wird immer komplexer und gleichzeitig müssen Inhalte einfach verständlich und vermittelt werden. Mammut hat in diesem 24-Stunden-Shitstorm rasch gelernt und ihre Unüberlegtheit eingestanden. Für mich klang dies authentisch, glaubwürdig und stark!
3) Ein generelle Vorgehensweise kann ich nicht empfehlen. Das Vorgehen ist stark abhängig von der Strategie einer Unternehmung, den Grundsätzen, welchen sie verpflichtet ist und den Zielen, welche sie anstrebt. In einem Shitstorm ist es schwierig, komplexe Themen zu diskutieren, weil die Emotionen in der Regel hoch gehen. Neben der Grosswetterlage ist dabei auch das lokale Gewitter zu beachten, das sich zerstörerisch auswirken kann. Für eine vertiefte Auseinandersetzung mit einem Thema sind zusätzlich weitere Massnahmen und Kommunikationskanäle nötig, ein guter Mix ist gefragt. Ich bin gespannt, ob und wie es Sunrise gelingt, ihre bisherige Position beizubehalten.
Spannend nun, was sich bei Sunrise (http://www.facebook.com/SunriseCommunications) tun wird: Sie stehen ebenfalls auf der CO2-Liste, und auf Facebook und Twitter sind die Kommentare ähnlich gelagert wie bei Mammut, die Strategie ist ähnlich konservativ, zB: http://www.facebook.com/notes/sunrise/liebe-facebook-userinnen/10150357728590992
@Hofrat Vielen Dank für den Hinweis! Auch ich bin gespannt, wie Sunrise Stellung bezieht und welche Auswirkungen ihr Verhalten haben wird.
Ich fand es amüsant, dass die Aktion in nanchen Medien als „Cyber-Mob“ bezeichnet wurde. Nach dem Motto: So herumstänkern und Pinnwand füllen ist doch irgendwie unfair oder gar agressiv.
„Cyber-Mob“ ist doch etwas daneben gegriffen. Im Grunde ist es eine neue, effektive Form von „Picketing“: mit Schildern vor den Toren der Konzernzentrale stehen und Kritik sichtbar machen.
Früher kam dann irgendwann die Polizei und hat die Protestierenden – mehr oder weniger unsanft – entfernt.
Auf Facebook lassen sich die Leute heute nicht mehr so schnell vertreiben…
PS: Das Statement von Mammut ganz am Schluss fand ich toll: Offene und sympathische Kommunikation, die ankommt. Weiter so!
Interessant finde ich ja die Wortwahl:
„den eintrag auf der website zu entfernen “.
Dies kann von “wir unterstützen das anliegen nicht “ bis hin zu “streicht uns von der website, wie unterstützen das anliegen nur noch finanziell “ alles heissen.
Im Vergleich zum aktuellen RTL Shitstorm (Thema: Berichterstattung über Gamescom) war der Mammut Shitstorm eine kurze, nette Diskussionsrunde, die schnell, professionell und vor allem auf sympathische Art aufgelöst wurde.
Was weniger bekannt ist:
Der WWF Schweiz hat sich stark engagiert in der Kampagne für Klimaschutz in der Schweiz – oder eben gegen diese unseelige Kampagne der economiesuisse. Dies tat der WWF sowohl mit Gesprächen wie auch mit Hilfe seiner schlagkräftigen Onlinecommunity, welche sich so lange für den Klimaschutz in der Schweiz einsetzte, bis die economiesuisse die ganze „C02-Liste“ vom Netz entfernen lassen musste. Das C02 Gesetz kam dann ohne Referendum der economiesuisse am 23. Dezember 2011 durch. Dank den Social Media Protesten wird also in der Schweiz bis 2020 20 Prozent C02 im Inland gespart.
Hallo an Bisculm 🙂
Sehr interessant, diesen Fall habe ich auch in meinen neuen Diplomarbeits-Beitrag zu Shitstorm Management aufgenommen (http://bit.ly/shitstorm_management ). Er ist Teil einer sechsteiligen Serie über Auslöser, Treiber und Wirkungen von Shitstorms, und folgt dem ersten Beitrag über gesellschaftliche Werte als Shitstorm Auslöser (http://bit.ly/shitstorm_ursachen).
Viel Spaß beim Lesen – Feedback ist erwünscht, teilen wäre ebenfalls sehr nett.
Vielen Dank und schöne Grüße aus Münster,
Tim Ebner
[…] auf Facebook – und Mammut entfernte seinen Namen umgehend von der besagten Liste (nachlesen auf bisculm.com [1|2] | kampaweb.ch | bernetblog.ch | netbreeze.ch [1|2] | […]
[…] auf Facebook – und Mammut entfernte seinen Namen umgehend von der besagten Liste (nachlesen auf bisculm.com [1|2] | kampaweb.ch | bernetblog.ch | netbreeze.ch [1|2] | […]
[…] Beispiel Mammut lässt sich dafür beiziehen (übrigens ausführlich dokumentiert bei Bernadette Bisculm). Der vermutliche Beginn der Misere jedenfalls erinnert stark an den […]