„Shitstorm bezeichnet im deutschen Sprachraum ein Internet-Phänomen, bei dem sachliche Kritik von zahlreichen, unsachlichen Beiträgen übertönt wird und sich zumeist gegen grosse Konzerne und vereinzelt gegen Einzelpersonen richtet. Während der Modebegriff im Deutschen ausschliesslich als terminus technicus Verwendung findet, bezeichnet er im Englischen ganz allgemein eine unangenehme Situation.“

(Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Shitstorm)

Dass Nutzer eine Unternehmung auf darauf aufmerksam machen, was Ihnen nicht gefällt, wäre an und für sich ein gutes Zeichen. Konfliktträchtig sind jedoch:

  • die Masse der Kommentare, die bei der Unternehmung zum gleichen Thema in sehr kurzer Zeit eintreffen überfordert oftmals die personellen Kapazitäten
  • die aggressive Sprache, welche die Kommunikationsfähigkeit der betroffenen Unternehmen auf die Probe stellt
  • gezielt agierende Akteure, die die Masse mobilisieren können
  • technologische Tricks wie Spam, die die technische Belastbarkeit testen

Ein Shitstorm ist eine schwierige Situationen für ein Unternehmen. Damit umzugehen, ist jedoch keine Kunst, sondern eine Kommunikationskompetenz, die erlernbar ist. Manche Unternehmen (wie z.B. Nestlé) haben bereits aus ersten Erfahrungen gelernt.

Wie verhielten sich die Unternehmen bisher? 

Kein Unternehmen ist gegen Fehler gefeit. Nicht nur die Möglichkeit, Fehler zu machen, hat sich durch die Arbeitsteilung erhöht, sondern mit dem Internet und Social Media vor allem die Sichtbarkeit von Fehltritten. In Windeseile kann jedes Aktenstück zum öffentlich zugänglichen Papier werden und globale Bekanntheit erreichen. Eine Unternehmung wird an ihren Worten gemessen. Ein  Markenversprechen auf die leichte Schulter nehmen kann fatale Folgen haben, wenn die Öffentlichkeit, seien es Kunden oder andere Bezugsgruppen, in den sozialen Medien (z.B. Facebook, Youtube, Twitter) gegen eine Unternehmung Druck macht. Image und Reputation stehen auf dem Spiel. Haben Unternehmen eine Chance sich erfolgreich gegen einen Shitsorm zu wehren? 

Beispiel 1: Nestle & Kit Kat

Im März 2010 war Nestlé’s Kit Kat Ziel eines viralen Angriffs von Greenpeace. Nestlé ging rechtlich gegen einen Youtube-Video von Greenpeace vor und liess ihn von der Plattform nehmen. Doch der Schuss ging hinten raus: Die Masse wurde dadurch umso mehr mobilisiert. Die Anzahl an Facebook Fans auf der Fanpage der Nestlé explodierte – und die Fans ebenso. Der sogenannte Streisand-Effekt  wurde damit ausgelöst und verschlimmerte die Lage für Nestlé. Nestlé nahm gar die Facebook Fanpage kurz vom Netz. Die Fans waren entrüstet. (Bericht der NZZ)

Fazit => Löschen funktioniert nicht mehr!

Beispiel 2: BP & die Ölkatastrophe

BP kommunizierte nach der Öl-Krise vom 20. April 2010 nicht proaktiv, sondern versuchte, ihren Image-Schaden durch eine restriktive Kommunikationspolitik zu begrenzen. BP zeigte die unverfänglichsten Bilder, und vor allem jene von Aufräumarbeiten, nicht die schlimme Sicht auf die Schäden.  BP buchte Keywords (Schlüsselwörter) bei den Suchmaschinen, um die Internetnutzer auf ihre eigenen Seiten zu bringen. Ihnen wurde vorgeworfen, das Ausmass der Schäden verniedlichen und vertuschen zu wollen. Beobachter, Journalisten und Helfern veröffentlichten eine andere Sicht auf die Situation. Zudem behinderten BP und Vertreter der Regierung eine freie Berichterstattung. Von BP bearbeitete Bilder wurden zu Tage gefördert (26.04.2014: mittlerweile wurden die Links gelöscht). (Berichte: AmericablogSpiegel Online)

Fazit => Bilder und Fakten vertuschen oder verheimlichen  funktioniert nicht! 

 Beispiel 3: Mammut, Sunrise & CO2

Mammut hatte am 22. August 2011 auf Facebook wie üblich freundlich Antwort gegeben, bis sie gemerkt haben, dass allenfalls eine geplante Aktion im Spiel sein könnte. Nach einer mehrstündigen Pause versuchten sie dem Sturm mit einem vorformulierten PR-Text zu trotzen, so wie es aus „alter PR-Schule“ üblich ist. Leider kopierten sie diesen in alle Antworten ein.  Auch Sunrise versuchte beim Angriff auf sie, weil sie auf der CO2 Liste standen, dasselbe Prozedere. Doch das funktioniert in der Social Media Welt nicht mehr. Wie soll sich jemand ernst genommen fühlen, wenn ein Unternehmensvertreter wie ein Roboter zu jeder Frage die gleiche Antwort postet? Mammut hatte schnell eingesehen, dass sie die Richtung ändern mussten, wenn sie sich ohne Imageschaden aus dem Sturm retten wollten und haben nach 24 Stunden wissen lassen, warum sie sich von der Liste streichen. So kam Mammut glaubwürdig aus dem Sturm heraus. (Bericht über den Mammut-Shitstorm).

Sunrise hielt länger durch, liess sich schlussendlich ohne offizielle Kommunikation auf Facebook von der Liste nehmen. Ob dies bei Sunrise – wie der Tagesanzeiger berichtet – unabhängig von der Facebook-Kampagne geschah, wage ich zu bezweifeln. Wäre denn ohne Druck von aussen eine Veränderung notwendig gewesen?

Fazit => Copy Paste von PR-Texten funktioniert nicht! 

 Beispiel 4: Nestlé & Solidar

Solidar Suisse suchte sich Ende August 2011 für ihre Solidaritätsbestrebungen für Kaffeebauern Nespresso aus. Mit dem Frontalangriff auf den Marktleader Nespresso konnte Solidar – eine kleine unscheinbare Schweizer NPO – auf dem Markt die grösste Wirkung erzielen. Das Dramaturgie-Konzept „David gegen Goliath“ funktionierte. Der Solidarclip mit Clooney gegen Nespresso zeigte Wirkung. Nestlé hatte seit Kit Kat dazugelernt und war vor allem schnell dialogbereit, was der Solidar Suisse, wenn nicht den Wind gänzlich aus den Segeln nahm, so doch keine weitere Angriffsfläche bot.

Fazit => Das Prinzip „David gegen Goliath“ funktioniert zugunsten der Kleinen immer noch. 

Beispiel 5: Nikon und die Photographen

Nikon hat durch einen ungeschickten Satz am 28. September 2011 einen Shitstorm ausgelöst:

Die Nikon-Frage

 

 

Über 3000 Fans reagierten auf diese Frage irritiert, entrüstet oder beleidigt. Eine teure Kamera allein mache noch keinen guten Fotografen, antworteten sie zu Recht. Die Entschuldigung von Seiten Nikon 16 Stunden später hat den Sturm nicht beilagen können. Da hilft nur noch ständige Schadensbegrenzung zu betreiben und abzuwarten bis der Sturm vorüber ist.

 

 

Fazit => Manchmal ist kein Heilkraut gegen selbst gepflanztes Unkaut gewachsen. 

 

Was führt zu einem Shitstorm?

Der Trend zur Skandalisierung ist ungebrochen. Durch die sozialen Medien ist die grössere Reichweite, Geschwindigkeit und Transparenz nicht nur eine Chance, sondern auch ein Risiko für die Unternehmen. Wie wir aus den obigen Beispielen lernen, können Shitstorms  aus unterschliedlichen Gründen  ausgelöst und verstärkt werden.

Die Altimeter Group untersuchte 50 Social Media Krisen und kam zum Schluss, dass 3/4 davon hätten vermieden oder begrenzt werden können. Die wichtigsten Gründe seien:

  1. Schlechte Erfahrungen der Kunden mit dem betreffenden Unternehmen
  2. Schlechte Verbindung zu den Bezugsgruppen
  3. Verletzung von ethischen Grundsätzen
  4. Übertretungen von Mitarbeitenden
  5. Unangemessene Inhalte
  6. Astroturfing (Meinung machen mit gefälschten Profilen)
  7. Verletzung von Gesetzen
  8. Zensurieren der Community
  9. Angriff einer NGO (Campaigning)
  10. Unwissenheit über die Faktenlage
  11. Zu lange Antwortzeiten
  12. Unangemesssene Antworten online

 

Wie funktioniert Campaigning?

Campagning ist auf Medienwirksameit ausgelegt und folgt einer Dramaturgie, die auf maximale Emotionalisierung zielt. Mittels militantem, emotionalisierendem Sprach- und Bildstil wird eine plausible Story erzählt, welche komplexe Zusammenhänge vereinfacht und Vorwürfe glaubwürdig dargestellt.


Andreas Freimüller, Initiant der Kampagne gegen die CO2-Liste, erklärte freimütig, dass er sich für sein erstes Ziel ein bekannntes Unternehmen mit möglichst grossem Spannungsfeld ausgesucht hatte. Bei Mammut war dies der Fall. Ein renommierter Outdoor-Bekleider mit deklariertem Öko-Bewusstsein fungierte auf der CO2 Liste. Ein  Gegensatz, der eine spannende Story verspricht. Die Initianten einer Kampagne profitieren davon „first moving“ zu sein und wollen die Agenda von Anfang an im Griff behalten. Der Campaigner setzt eine einfache, plausible Story aus seiner Sicht auf. Sie muss einleuchten. Komplexe Themen können in einem Shittorm nicht tiefgründig diskutiert werden. Zudem ist ein langer Atem und ein taktisch geschicktes Agenda-Setting für eine erfolgreiche Kampagne unabdingbar, um eine gewisse Masse hinter sich zu vereinen. Andreas Freimüller ging es darum, die Unternehmen dazu zu bewegen, sich von der CO2-Liste zu distanzieren.

 

Wie soll sich ein Unternehmen in einem Shitstorm verhalten?

Bei einem Shitstorm kommt nicht primär darauf an, Recht zu haben, sondern darauf, wie die Öffentlichkeit die Situation einschätzt. Ob und wie die eigenen Standpunkte glaubwürdig vermittelt werden können ist ebenfalls zu berücksichtigen. In der Vorbereitung der Krisenkommunikation ist es empfehlenswert, einen erfahrenen Krisenberater beizuziehen, auf den im Notfall schnell und ohne lange Einarbeitungszeit zurückgegriffen werden kann.

Vor dem Sturm

  • Erwartungen der verschiedenen Stakeholder des Unternehmens kennen
  • Öffentlichkeitsarbeit vor einer Krise betreiben und frühzeitig Bewusstsein für die kritischen Themen der Unternehmens schaffen => Corporate Social Responsibility (CSR)
  • den Dialog – auch mit möglichen Gegenparteien – pflegen
  • durch Monitoring stets informiert bleiben, Krisenherde antizipieren
  • einen Standard-Krisenkommunikationsplan vorbereitet haben
  • authentische, vermittelbare und glaubwürdige Antworten  breit halten
  • die Mitarbeitenden schulen. Die Krisenkommunikation professionalisieren.
  • Krisensituationen analysieren und vorausschauend auf kritische Punkte (Reputationsrisiken)  überprüfen
Während des Sturms
  • Ruhe bewahren und die Situation angemessen bewerten.
    Handelt es sich um eine Kernkompetenz des Unternehmens? Handelt es sich um eine Kampagne oder um den Missmut eines oder mehrerer Kunden? Wer und welche Motivation stecken dahinter?
  • Schnell antworten und mitteilen, wann die nächsten Informationen erwartet werden dürfen bzw. Stellung bezogen wird. (Sunrise)
  • De-eskalierende, authentische und glaubwürdige Botschaften senden
  • positive Argumente zum Thema platzieren
  • massvolle Offenheit an den Tag legen und rasch Transparenz schaffen. Ehrlich währt am längsten!
  • Engagement und verantwortungsbewusste Unternehmensführung demonstrieren
Nach dem Sturm
  • Debriefing: Analyse des Shitstorms, des eigenen Verhalten, jenes der „Angreifer“, der Stakeholder und der breiten Öffentlichkeit, Analyse der Konsequenzen, Umsetzung in Massnahmen
  • Chance nutzen und allenfalls das eigene Profil neu schärfen
  • Massnahmen gegen Schwächen und Risiken angehen
  • Massnahmen, welche im Gesamtprozess integriert werden müssen, entsprechend einsetzen

Sieben Grundregeln

  1. Ruhe bewahren. Auf jede Frage eine freundliche Antwort geben. Für eine positive Grundstimmung sorgen.
  2. Schnell reagieren. Mit klaren Signalen antworten, den Kunden Orientierung geben.
  3. Situation in ihrer Komplexität verstehen und angemessen bewerten.
  4. Keine standardisierten Antworten posten, keine PR-Texte kopieren
  5. Komplexe Antworten/Themen in kurze, „online lesbare“ Abschnitte stückeln
  6. Dialog, nicht Massenkommunikation betreiben
  7. Das offene Gespräch anbieten

Unternehmen haben eine Chance, wenn sie sich an die grundlegenden Regeln der Kommunikation halten sowie die neuen Gegebenheiten der Social Media Welt berücksichtigen. Werte wie Authentizität, Ehrlichkeit, die Sorge zur Umwelt und Dialogbereitschaft haben einen hohen Stellenwert. Unternehmungen, welche sich bisher an diesen Werten orientiert haben, profitieren in aller Regel von einer guten Reputation, was  ihnen in einer Krise zu Gute  kommt.

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